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«Soja beeinträchtigt die Entwicklung und Geschlechtsreife von Kindern.»

Behauptung: 
«Der grösste Skandal ist jedoch, was Soja Babys antut. Säuglingsnahrung auf Sojabasis enthält 130000-mal mehr Isoflavone als Muttermilch.»1
Lierre Keith

Diese Aussage stimmt mehr oder weniger tatsächlich, jedoch muss man Folgendes bedenken: Die durchschnittliche Muttermilch einer westlichen Mischköstlerin enthält so gut wie gar keine Isoflavone.2 Daher hat jedes Lebensmittel, das Isoflavone enthält, automatisch gleich einen tausendfach höheren Gehalt im Vergleich zum kaum messbaren Gehalt in der durchschnittlichen Muttermilch.

Selbst bei Frauen, die Soja konsumieren, ist der Gehalt an Phytoöstrogenen in der Muttermilch immer noch so niedrig, dass er je nach Vergleichsprodukt zwischen 10- bis 1000-fach geringer als in den gängigen Sojaprodukten ist.3 Dieser Vergleich ist in etwa so, als würde man behaupten, dass ein Apfel ein grossartiger Vitamin-C-Lieferant ist, weil er 100000-mal mehr Vitamin C als Gerste enthält.
Das stimmt aber nur, weil die Gerste kaum nachweisbare Mengen an Vitamin C enthält. Vergleicht man die 12 mg Vitamin C des Apfels pro 100 g allerdings mit den über 700 mg pro 100 g Vitamin C der Brennnessel, sieht die Relation bereits ganz anders aus.4 Abgesehen davon, wie viele Isoflavone die Säuglingsanfangsnahrung auf Sojabasis nun enthält, ist die relevantere Frage eher, welche Auswirkungen diese haben.

Auch bei diesem Thema begründet sich die Angst vor Soja überwiegend durch Zell- und Tierstudien, wie auch die Canadian Paediatric Society (CPS) betont: «Es gibt aufgrund von Tierversuchen und Zellstudien Bedenken wegen des Gehalts an Phytoöstrogenen in Soja für jene Säuglinge, deren Nährstoffzufuhr ausschliesslich über Säuglingsanfangsnahrung auf Sojabasis erfolgt. […] Untersuchungen am Menschen haben jedoch gezeigt, dass auch dann keine Gefahr von den verfügbaren Produkten ausgeht, wenn Säuglinge exklusiv damit gefüttert werden.»5

Selbstverständlich empfehlen aber alle Gesellschaften für die ersten sechs Monate ohnehin keine Säug­lingsanfangsnahrung, sondern ausschliesslich Muttermilch. Aber auch das hat nichts mit der Sojabohne per se zu tun, sondern lediglich damit, dass Säuglinge in den ersten sechs Monaten im Idealfall schlichtweg gar kein anderes Lebensmittel ausser Mutter­milch bekommen sollten, wie es auch die WHO empfiehlt.6

Obwohl Eltern alles daransetzen sollten, ihren Nachwuchs in den ersten Lebensmonaten mit Muttermilch zu versorgen, kann Säuglingsanfangsnahrung auf Sojabasis für vegan lebende Familien zumindest im Vergleich zu Präparaten auf Kuhmilchbasis eine gleichwertige Alternative bieten. So konnten Untersuchungen zu den Unterschieden in der Entwicklung von Kleinkindern bei Fütterung mit Säuglingsanfangsnahrung auf Kuhmilch- oder Sojabasis sowohl im Alter von vier Monaten7 als auch im Alter von einem Jahr8 keine signifikanten Unterschiede in der Entwicklung der Kleinkinder feststellen.

Zusätzlich gibt es eine umfangreiche Übersichtsarbeit zu diesem Thema, die alle relevanten Daten seit 1909 zusammenfasst, und die Schlussfolgerung der Autoren lautet ebenfalls: «[…] Moderne Säuglingsanfangsnahrung auf Sojabasis ist eine sichere Option für alle Säuglinge, die sie benötigen. Das Wachstum, die Knochengesundheit sowie die Stoffwechsel-, Fortpflanzungs-, Hormon-, Immun- und die neurologische Funktion von Kindern, die mit Soja-Säuglingsanfangsnahrung gefüttert wurden, sind vergleichbar mit jenen von Kindern, die mit Kuhmilch-Säuglingsanfangsnahrung oder Muttermilch gefüttert wurden.»9

Auch der Zeitpunkt des Einsetzens der Periode bei jungen Mädchen wird durch Sojakonsum im Kleinkinder- und Jugendalter nicht beeinflusst, wie eine Studie an über 300 Mädchen im Alter von 12 bis 18 Jahren zeigte.10 Dies liefert ein weiteres Indiz dafür, dass Soja keinen signifikant negativen Einfluss auf das Hormonsystem von Mädchen und jungen Frauen ausübt. Eine weitere Studie vollzog eine Befragung in einer Gruppe von über 800 Personen im Alter von 20 bis 34 Jahren, die als Säuglinge teils Kuhmilch- und teils Soja­anfangsnahrung erhielten, um mögliche Unterschiede in der späteren Entwicklung feststellen zu können.11 Obwohl über 30 Parameter wie Körpergrösse, Gewicht, allgemeine Gesundheit, Fruchtbarkeit etc. abgefragt wurden, gab es in der Summe keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.

Während es immer wichtig und bei heranwachsenden Kindern von besonderer Bedeutung ist, in Gesundheitsfragen auf höchste Sicherheit zu setzen, gibt es basierend auf dem aktuellen Forschungsstand dennoch keine wissenschaftliche Beweisgrundlage, welche Sojaanfangsnahrung im Vergleich zur Kuhmilchanfangsnahrung schlechter erscheinen lässt. Die erste Wahl ist und bleibt aber natürlich Muttermilch.

Wenn ein veganes Kind nicht ge­stillt werden kann und gleichzeitig eine Allergie gegen Soja aufweist, gibt es ferner auch Säuglingsanfangsnahrung auf Basis von Reis und Mandeln in Bioqualität gänzlich ohne Soja.12 Gerade bei empfindlichen Gruppen wie Säuglingen und Kleinkindern sollte höchste Qualität stets Priorität haben.

Niko Rittenau

 

Niko Rittenau ist Ernährungsberater mit Schwerpunkt auf pflanzlicher Ernährung. Er beantwortet gerne Ihre Leserfrage zu Bedenken bei der veganen Ernährung. Ausführliche Informationen gibt es in seinem Buch «Vegan-Klischee ade!».
 

  1.  Keith, L. (2015) Ethisch essen mit Fleisch – Eine Streitschrift über nachhaltige und ethische Ernährung mit Fleisch und die Missverständnisse und Risiken einer rein vegetarischen und veganen Lebensweise. Lünen: Systemed, 189.
  2.  Franke, A. A., Halm, B. M., Custer, L. J., Tatsumura, Y. & Hebshi, S. (2006). Isoflavones in breastfed infants after mothers consume soy. Am J Clin Nutr, 84(2), 406–413.
  3.  Sheehan, D. M. (1997). Isoflavone content of breast milk and soy formulas: benefits and risks. Clin Chem, 43(5), 850–852.
  4.  Souci SW, Fachmann W & Kraut H. (2016). Die Zusammensetzung der Lebensmittel Nährwerttabellen (8. Aufl.). Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
  5.  Leung, A. & Otley, A. (2009). Canadian Paediatric Society – Concerns for the use of soy-based formulas in infant nutrition. Paediatr Child Health, 14(3), 109–113.
  6.  Horta, B. L. & Victoria, C. G. (2013). World Health Organization: Long-term effects of breastfeeding – a systematic review. Zugriff am 1. Juni 2018. Verfügbar unter http://bit.ly/2DIxzyK
  7.  Gilchrist, J. M., Moore, M. B., Andres, A., Estroff, J. A. & Badger, T. M. (2010). Ultrasonographic patterns of reproductive organs in infants fed soy formula: comparisons to infants fed breast milk and milk formula. J Pediatr, 156(2), 215–220.
  8.  Andres, A., Cleves, M. A., Bellando, J. B., Pivik, R. T., Casey, P. H. & Badger, T. M. (2012). Developmental status of 1-year-old infants fed breast milk, cow’s milk formula, or soy formula. Pediatrics, 129(6), 1134–1140.
  9.  Vandenplas, Y., Castrellon, P. G., Rivas, R., Gutiérrez, C. J., Garcia, L. D., Jimenez, J. E. et al. (2014). Safety of soya-based infant formulas in children. Br J Nutr, 111(8), 1340–1360.
  10.  Segovia-Siapco, G., Pribis, P., Messina, M., Oda, K. & Sabaté, J. (2014). Is soy intake related to age at onset of menarche? A cross-sectional study among adolescents with a wide range of soy food consumption. Nutr J, 13, 54.
  11.  Strom, B. L., Schinnar, R., Ziegler, E. E., Barnhart, K. T., Sammel, M. D., Macones, G. A. et al. (2001). Exposure to soy-based formula in infancy and endocrinological and reproductive outcomes in young adulthood. JAMA, 286(7), 807–814.
  12.  Sojafreie Anfangsnahrung in Bioqualität gibt es beispielsweise von der Firma Prémibio unter der Marke «Prémiriz» oder von der Firma La Mandorle unter der Marke «Mandorle Bébé» in Onlineshops zu kaufen.
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