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22.11.2022 | Bettina

In den Sessionen diskutieren National- und Ständerat diverse Themen. Wir informieren über die wichtigsten Punkte und fassen die Resultate zusammen. Die Wintersession 2022 dauert vom Montag, 28. November bis Freitag, 16. Dezember.

Wolfspopulation darf vorbeugend reguliert werden

Im Jahr 2020 wurde eine Revision des Jagdgesetzes, die erleichterte Abschussbedingungen für den Wolf forderte, vom Volk abgelehnt. Mit der vom Ständerat in der Herbstsession und dem Nationalrat in der Wintersession angenommenen parlamentarischen Initiative «Wachsende Wolfsbestände geraten ausser Kontrolle und gefährden ohne die Möglichkeit zur Regulierung die Landwirtschaft» soll nun genau das umgesetzt werden, was damals abgelehnt wurde: Es gibt eine Teilrevision des Jagdgesetzes, im Zuge derer der Schutz des Wolfes gelockert wird. 

Neu auch präventiver Abschuss

Wenn es um den Schutz des Wolfes geht, wird in den Debatten oft auf das Bild vom bösen und gefährlichen Wolf gesetzt. Doch schaut man sich die Zahlen an, waren Grossraubtiere 2021 nur für 6% der Todesfälle von Schafen während der Sömmerung verantwortlich.  Dennoch sollen Wölfe nun nicht nur geschossen werden dürfen, nachdem sie Schäden angerichtet haben, sondern bereits im Voraus, um mögliche Schäden zu verhindern. Neu sollen somit auch Bestandesregulierungen möglich sein: Zwischen dem 1. September und dem 31. Dezember sollen Wölfe reguliert werden können.

Aufklärung statt Angstmacherei

Hätte in dieser Debatte das Augenmerk mehr auf den Fakten gelegen statt darauf, den Wolf als zerstörungswütiges Wesen darzustellen, wäre das Resultat anders ausgefallen. Wie eine Studie von KORA zeigt, gibt es vermehrt dort Schäden durch Wölfe und andere Grossraubtiere, wo viele frei weidende Nutztiere leben. Gleichzeitig kann eine «hohe Dichte an wilden Beutetieren die Wahrscheinlichkeit von Schäden verringern». Dies würde auch den Wald vor Verbiss schützen und der Eingriff in das ökologische Gleichgewicht mithilfe der Jagd könnte verringert werden.

Verpasste Chance

Swissveg lehnt diesen Entscheid ab. Anstatt konstruktiv über ein Miteinander von Grossraubtieren und Menschen zu diskutieren, wurde einmal mehr der Mensch mit seinen ökonomischen Interessen über den Tierschutz und die Biodiversität gestellt.

Tierquälerischer Welpenhandel soll gestoppt werden

Die Motion von Martina Munz (SP/SH) «Schluss mit tierquälerischem Welpenhandel» wurde dem Nationalrat folgend auch vom Ständerat oppositionslos angenommen. Es wird vom Bundesrat eine verbindliche Regelung gefordert, damit die involvierten Behörden rasch handeln können. Konkret geht es um den Austausch von Informationen und Daten mit ausländischen Behörden, um den tierquälerischen Welpenimport verhindern zu können. Stand heute ist die Datenübermittlung nämlich nur mit einem Amtshilfegesuch an die Schweiz möglich. Das sei umständlich und viel zu langwierig, um rasch gegen illegalen Welpenhandel vorzugehen. Nun sollen Bund und Kantone die Problematik des tierquälerischen Welpenhandels in Angriff nehmen.

Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik, Nährstoffverluste und Biodiversitätsförderflächen

Gleich mehrere Motionen (siehe Auflistung unten) wurden in der Wintersession im Rahmen der Agrarpolitik diskutiert. Dabei ging es einerseits um die zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik (AP22+) sowie auch um die Reduktion der Nährstoffverluste und der Biodiversitätsförderflächen. Beim Anblick der Resultate macht sich Ernüchterung breit.

Enttäuschung im Hinblick auf die Reduktionsziele bei Nährstoffverlusten

Der wohl grösste Rückschlag war die knappe Annahme der Motion Ziel zur Verringerung von Nährstoffverlusten senken von Johanna Gapany (FDP/FR). Nachdem die Motion in der Herbstsession vom Ständerat mit 25 zu 18 Stimmen (bei 1 Enthaltung) angenommen wurde, sagte auch der Nationalrat ja. Mit 93 zu 90 Stimmen bei 7 Enthaltungen fiel dieser Entscheid jedoch knapp aus.

Was bedeutet die Annahme dieser Motion? Im Rahmen der Trinkwasserinitiative versprach der Bundesrat die Landwirtschaft werde die Gülleausbringung stark reduzieren. Kurz vor Einführung der Bestimmungen werden die Reduktionsziele für die Stickstoff- und Phosphor-Verluste nun reduziert. Bis 2030 hätten die Verluste um 20% zurückgehen sollen. Wie Marcel Dettling (SVP/SZ) korrekt bemerkte, hätte dies eine Reduktion des Tierbestandes zur Folge gehabt. Doch dies wäre nicht umsetzbar.

Weshalb müssen die Nährstoffverluste gesenkt werden? Gülle und Mist aus der Tierhaltung werden auf den Feldern verteilt. Darin enthalten sind Nährstoffe wie Phosphor, Nitrat und Stickstoff (in Form von Ammoniak). Wenn diese nicht vollständig aufgenommen werden können, entstehen Überschüsse, die sich negativ auf die Umwelt auswirken: Überschüssige Ammoniakablagerungen führen zu Artenverlusten, Nitrat- und Phosphoreinträge beeinträchtigen die Wasserqualität.

Der Zusammenhang ist klar: Je mehr Tiere gehalten werden, desto mehr umweltschädliche Emissionen entstehen. Ausserdem gilt auch: Je mehr Tiere gehalten werden, umso mehr Futtermittel muss produziert (oder importiert) werden. In seiner Stellungnahme zur Motion «Nahrungsmittelproduktion hat Vorrang» schreibt der Bundesrat deshalb explizit: «Vielmehr bedeutend für die Stärkung der Nahrungsmittelproduktion ist der Anteil der Ackerfläche, der für die direkte menschliche Ernährung verwendet wird. Wenn das Dauergrünland mit standortangepasster Nutzungsintensität zur Milch- und Fleischproduktion genutzt wird und auf der Ackerfläche vermehrt Kulturen zur direkten menschlichen Ernährung angebaut werden, könnte die Kalorienproduktion erheblich erhöht werden.»

Eine 2021 veröffentlichte Studie bestätigt, dass Ackerflächen vermehrt für den Anbau von Pflanzen, die direkt für die menschliche Ernährung verwendet werden, benutzt werden sollten: Auf rund 90 Prozent der Schweizer Landwirtschaftsflächen wird Futtermittel für Tiere angebaut. Dazu kommen Futtermittelimporte: 200,000 Hektar zusätzliche Ackerfutterfläche wird im Ausland genutzt. Diese riesigen Flächen sind nötig, da die Produktion tierischer Erzeugnisse die vielen Kalorien pflanzlicher Produkte, die wir Menschen direkt essen könnten, in wenige Kalorien tierischer Erzeugnisse umwandelt.

Immerhin kein Abbau der Biodiversitätsförderflächen

Eine weitere Motion forderte die geplante Mindestvorgabe von 3,5 Prozent an Biodiversitätsförderflächen auf der Ackerfläche rückgängig zu machen. Nachdem der Ständerat diese Motion mit 30 zu 15 Stimmen angenommen hatte, wurde sie nun mit 97 zu 89 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) vom Nationalrat abgelehnt.

AP22+ hat Hoffnung nicht erfüllt

Nachdem die Diskussionen um die Weiterführung der Agrarpolitik nach 2022 (AP22+) vor knapp zwei Jahren verschoben wurden, wurde im Juni 2022 der Bericht «Zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik» veröffentlicht. Darin wird explizit betont, dass mehr Ackerfläche für den Anbau direkter menschlicher Nahrung genutzt werden sollte:

Trotz vergleichsweise geringer Ackerfläche pro Kopf wird in der Schweiz weniger als 40 Prozent der Ackerfläche zur direkten menschlichen Ernährung genutzt. Obwohl der Tierbestand insgesamt relativ stabil ist, haben sich die Futtermittelimporte in den letzten 20 Jahren nahezu verdoppelt.

Die Problemanalyse wurde gemacht, wichtige Ansatzpunkte wurden erkannt. Der Ständerat nahm in der Wintersession die Diskussion wieder auf. Doch der Rat verzichtete auf wichtige Punkte: Konkrete Klimaziele wurden im Landwirtschaftsgesetz nicht verankert. Auch wurde dem Tierwohl keine besondere Beachtung geschenkt. Der Bundesrat wurde nun damit beauftragt, den Konzeptvorschlag vom Juni 2022 zu konkretisieren und bis Ende 2027 zu unterbreiten. Mit der Stossrichtung des Berichts vom Juni 2022 waren kleine Hoffnungsschimmer aufgekommen. Diese sind mit der Annahme der verminderten Reduktionsziele bei Nährstoffverlusten jedoch stark verblasst.

Der Weg ist noch weit. Es fehlt zurzeit eine konkrete Strategie inklusive Massnahmen, wie sich die Landwirtschaft Schritt für Schritt weg von der Tierproduktion hin zum Anbau pflanzlicher Nahrung für den direkten menschlichen Verzehr entwickeln kann. Doch am allermeisten fehlt der Wille.

Die Motionen und Geschäfte im Detail:

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