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05.07.2023 | Vivian

Eine kürzlich veröffentlichte Umfrage von Proviande1,2 beschäftigt sich mit dem Image der Organisation sowie dem Wissen der Schweizer Konsument:innen in Bezug auf die Fleischproduktion. Die Studie zeigt vor allem eines: Der Grossteil der Fleischkonsument:innen besitzt nach wie vor eine idealisierte Vorstellung der (Schweizer) Fleischproduktion.

Saftig grüne Wiesen, grosszügige Ställe, friedlich grasende Kühe: Werbung für tierische Lebensmittel, allen voran Fleisch und Milch, vermittelt ein idealistisches Bild der Tierhaltung. Und die Werbebemühungen zeigen – leider – Wirkung. Das bestätigt die aktuellste Imagestudie von Proviande, der Branchenorganisation der Schweizer Fleischwirtschaft. Gemäss derer ist den meisten Schweizer Fleischkonsument:innen (Vegetarier:innen, Personen, die beruflich mit Fleisch, Ernährung oder Marktforschung zu tun haben sowie Journalist:innen ausgeschlossen) eine respektvolle Tierhaltung mit viel Auslauf wichtig. Über die Realität der Fleisch- und Milchproduktion weiss der Grossteil der Befragten erstaunlich wenig. Nichtsdestotrotz ist das Vertrauen in Schweizer Fleisch gemäss Umfrage gross. Wie passt das alles zusammen? Angefangen mit dem Tierwohl nehmen wir die öffentlich einsehbaren Aussagen der Studie unter die Lupe und prüfen, was wirklich stimmt. Genauere Informationen zu der Studie wollte Proviande uns auf Nachfrage hin leider nicht zur Verfügung stellen.

Das strengste Tierschutzgesetz der Welt?

Tiergerechte Haltung nimmt in Proviandes Kommunikation der Studienergebnisse einen zentralen Platz ein. Den Konsument:innen sei eine artgerechte Haltung wichtig; insbesondere eine gute Behandlung der Tiere sowie genügend Auslauf, aber auch «keine Massenhaltung» sind für die Befragten zentral. Die Tierhaltung in der Schweiz wird gemäss Proviande «grundsätzlich als artgerecht» angesehen. Gerade deshalb, so Proviande, setze die Fleischbranche in diesem Bereich «auf Aufklärung und Faktenvermittlung» – schliesslich habe die Schweiz «eines der strengsten Tierschutzgesetze der Welt», was gemäss Proviande noch breiter kommuniziert werden müsste. Ist die Tierhaltung in der Schweiz also wirklich so tierfreundlich?

Erst einmal darf nicht vergessen werden, dass das Tierschutzgesetz die Nutzung der Tiere regelt. Es legt also vielmehr fest, was dem Tier «noch zugemutet werden kann», als was wirklich tiergerecht ist, wie eine Studie festhält (S. 83).3 Im Fokus steht die Wirtschaftlichkeit für den Menschen; entsprechend lässt das Gesetz diverse Praktiken zu, die eindeutig nicht tierfreundlich sind, zum Beispiel Schweine ohne Auslauf zu halten, Lämmern den Schwanz zu kürzen und männliche Küken gleich nach dem Schlüpfen zu töten. Nur weil Tiere in anderen Ländern möglicherweise unter noch schlechteren Bedingungen gehalten werden, heisst das nicht, dass die Bedingungen in der Schweiz tierfreundlich sind. Dazu kommt, dass die Einhaltung der rechtlichen Vorschriften nicht konsequent kontrolliert und durchgesetzt wird. Ohne ausreichende Kontrollen ist selbst das beste Tierschutzgesetz der Welt wertlos.
 

Die meisten Befragten legen besonderen Wert auf respektvollen Umgang und Auslauf. Quelle: Proviande.

 

Schweinekrise veranschaulicht Mängel

Einige der Mängel der Schweizer Tierhaltung hat die sogenannte «Schweinekrise» im letzten Jahr beispielhaft aufgezeigt: Als die Nachfrage nach Schweizer Schweinefleisch zu Beginn der Coronapandemie durch den fehlenden Einkaufstourismus leicht anstieg, haben die Schweizer Schweinezüchter:innen die Produktion enorm hochgefahren. Als die Nachfrage bald wieder einbrach, wurde die «Produktion» nicht rechtzeitig angepasst, und in den Schweineställen wurde es immer enger. Bereits unter normalen Umständen dürfen bis zu zehn Schweine auf einer viel zu kleinen Fläche von «der Grösse eines Autoparkplatzes» gehalten werden, sodass die immer grösser werdenden Schweine im letzten Jahr schliesslich kaum noch Bewegungsfreiheit hatten, immer gestresster wurden und unter zunehmend unhygienischen Bedingungen leben mussten. Die Vorschriften konnten gemäss Schweizer Tierschutz unmöglich eingehalten werden, sogar das Veterinäramt schlug Alarm. Das bestätigen gemäss saldo Bilder der Tierschutzorganisation Tier im Fokus, auf denen die Schweine laut Präsident Tobias Sennhauser «auf engstem Raum zusammengepfercht» seien. Trotzdem: Rechtliche Verfahren gab es so gut wie keine.4,5

Fehlendes Wissen über die Realitäten der Tierhaltung

Doch die Tiere leben nicht nur in Krisenzeiten unter schlechten Bedingungen – vielmehr haben sie grundsätzlich viel zu wenig Platz, wenig Auslauf und keinerlei Abwechslung in ihrem Leben. Beispielsweise dürfen in der Schweiz bis zu 17 Legehennen auf einem Quadratmeter gehalten werden, die Hälfte aller Schweine lebt ohne jeglichen Auslauf und auf einer Wiese stehen nur 12% aller «Nutztiere» überhaupt einmal in ihrem Leben.6,7 Die meisten Konsument:innen sind geschockt, wenn sie diese Zahlen hören, denn sie entsprechen ganz und gar nicht der üblichen Vorstellung von der Schweizer Tierhaltung.

Proviandes Umfrage bestätigt, dass die meisten Menschen wenig darüber wissen, wie die industrielle Tierhaltung abläuft. Beispielsweise hat nicht einmal die Hälfte aller Befragten gewusst, dass eine Kuh ein Kalb haben muss, um Milch zu geben. Entsprechend ist davon auszugehen, dass die meisten Menschen nicht realisieren, welche enormen Strapazen für die Kuh mit der Milchproduktion einhergehen: Um konstant Milch zu geben, wird die Kuh regelmässig künstlich befruchtet und verbringt so einen grossen Teil ihres Lebens trächtig. Von ihrem Kalb wird sie unmittelbar nach der Geburt getrennt – ist dieses männlich, ist es sowieso schon bald auf dem Weg zum Schlachthof. Schliesslich sind die Milch- und Fleischwirtschaft «eng miteinander gekoppelt», wie Proviande schreibt.Das Leben eines sogenannten Nutztiers in der Schweiz ist, entgegen dem durch die Werbung vermittelten Bild, alles andere als idyllisch. 

Keine Antibiotika in Fleisch und Milch?

Fast die Hälfte aller Befragten in Proviandes Studie glaubt auch, dass der Einsatz von Antibiotika in der Schweizer Tierhaltung kaum verbreitet ist. Damit liegt der Grossteil der Befragten gemäss Proviande  immer noch weit daneben – denn der Einsatz von Antibiotika zur Leistungssteigerung sei in der Schweiz seit über 20 Jahren verboten. Anders als Proviande mit dieser Formulierung glauben lässt, heisst das jedoch keinesfalls, dass der Einsatz von Antibiotika generell «kaum verbreitet» ist – im Gegenteil, denn tatsächlich werden Antibiotika in der Fleisch- und Milchproduktion ständig und mit steigender Tendenz verabreicht. Im Jahr 2021 gab es rund 21 Millionen Behandlungen mit Antibiotika, über 20% mehr als im Vorjahr. Absolut gesehen wurden die meisten Behandlungen bei Geflügel durchgeführt, im Verhältnis zur Anzahl Tiere werden Milchkühe mit Abstand am häufigsten behandelt: Pro 1000 Tiere gab es hier durchschnittlich 720 Behandlungen.9 Tatsächlich behandeln die Landwirt:innen in der Schweiz laut Studienergebnissen die Euter ihrer Milchkühe häufiger mit Antibiotika als sonst irgendwo in Europa, und zwar seit Jahren.10 Eine Schweizer Kuh wird im Durchschnitt fast jedes Jahr mit Antibiotika am Euter behandelt – dreimal so häufig wie österreichische, 18 mal so häufig wie dänische, und ganze 90 mal öfter als norwegische Kühe.11 Der Grund dafür: Die Kühe sind aufgrund der viel zu hohen geforderten Milchleistung völlig überlastet und dadurch infektionsanfälliger. Deshalb werden sie oft bereits prophylaktisch mit Antibiotika behandelt. Das führt zu Antibiotikarückständen in der Milch, die die gesetzlich erlaubten 60 μg pro Liter12 überschreiten, so dass die Milch so nicht verkauft werden darf. Als Resultat sind jährlich rund 80 Millionen Liter Milch unbrauchbar – das entspricht dem jährlichen Konsum von 1,5 Millionen Schweizer:innen. Diese Milch wird häufig Kälbern gegeben oder in den Dünger geschüttet, was wiederum die Bildung antibiotikaresistenter Keime fördert, die über Gemüse oder Salat in den menschlichen Organismus gelangen und zu schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen führen können.

Auch in grossen Kälbermastbetrieben wird den Kälbchen standardmässig eine Antibiotikakur verabreicht. Schliesslich ist es bei der Haltung von über hundert Tieren auf engstem Raum unmöglich, einzelne kranke Tiere auszumachen, und da die beengte Haltung die Ansteckungsgefahr noch fördert, wird prophylaktisch die ganze Herde behandelt. Diese Praktiken sind durch die Förderung von Antibiotikaresistenzen für Menschen gefährlich, aber machen auch deutlich, dass diese Art der Haltung keinesfalls tiergerecht sein kann. Denn wie kann eine Tierhaltung, die nur mithilfe von ständigem Antibiotikaeinsatz funktioniert, artgerecht sein?

Weg von idealisierten Bildern

Proviandes Imagestudie demonstriert  einmal mehr, dass die Organisation – genauso wie zum Beispiel Swissmilk – ein idealisiertes Bild der Schweizer Tierhaltung verbreitet. Denn dass diese, anders als von Proviande suggeriert, in keiner Weise als respektvoll den Tieren gegenüber bezeichnet werden kann, zeigen unzählige Beispiele – von der Schweinekrise bis zum routinemässigen Einsatz von Antibiotika. Dies realisieren viele Fleischkonsument:innen jedoch nicht – und das muss sich unbedingt ändern, damit mehr Menschen  bewusste Kaufentscheidungen treffen und für ihre Überzeugungen einstehen können. 

1 Proviande, Studie zum Fleischkonsum zeigt: 72 % haben sehr grosses Vertrauen in Schweizer Fleisch. 2. März 2023.

2 Proviande, Auszug: Bericht zur quantitativen Befragung zu Image und Wissen der Schweizer Fleischkonsumentinnen und
-konsumenten bezüglich Fleisch.

3 Agrofutura, 2013. Umwelt- und Tierschutz in der Landwirtschaft: Ein Vergleich der Schweiz mit ausgewählten europäischen Ländern unter besonderer Berücksichtigung des Vollzugs. 

4 Christen, M., NZZ Magazin. Schweizer Schweine leider unter Platznot. 14. Januar 2023. 

5 Mennig, D. & Cetojevic D., Saldo. Industrie verramscht Schweinefleisch ins Ausland – auf Kosten der Steuerzahler. 21. Januar 2023. 

6 Vier Pfoten, Initiative gegen Massentierhaltung. 29. September 2022.

7 Vier Pfoten, Legehennen in der Schweiz. 22. März 2023.

8 Vier Pfoten, Eine Mutter, ein Kind – eine Verbindung. 

9 Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), Antibiotika, Schweizerische Eidgenossenschaft.

10 Demuth, Yves, Schweizer Bauern spritzen rekordmässige Antibiotika, Beobachter, 25. Oktober 2018.

11 Mennig, D. & Mistric, V. Antibiotikaspritzen im Kuhstall: 80 Millionen Liter Milch pro Jahr unbrauchbar, Ktipp, 19. April 2022.

12 Eidgenössisches Departement des Inneren (EDI) & BLV, Information über den Umgang mit positiven Befunden in der amtlichen Milchprüfung beim Einsatz von Antibiotika, insbesondere Mastiplan, 1. Januar 2016. 

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