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25.01.2024 | Renato

Derzeit wird weltweit die Kritik an Fleisch und Milchalternativen lauter: Sie seien sehr stark verarbeitet (Ultra-Processed Food) und deshalb ungesund. Viele Personen, die gegen eine vegetarische oder vegane Ernährung sind, greifen dieses Argument auf und verbreiten es z.B. in Gesundheitsvorträgen. Woher kommt diese Erkenntnis? Was steckt dahinter?

Natürlichkeit

Schon länger ist bekannt, dass stark verarbeitete Lebensmittel meist weniger gesund sind als naturbelassene. Zum Beispiel ist ein Industriebrot aus Weissmehl (mit Zucker, Emulgatoren, Teigführungsmittel etc.) weniger gesund als ein Brot aus natürlichem Vollkornmehl, denn beim Weissmehl wurden viele gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe des vollen Kornes entfernt (Nahrungsfasern, Vitamine, Mineralstoffe). Stark verarbeitete Zutaten werden schon lange in der Nahrungsmittelindustrie verwendet. Es geht dabei meist darum, ein Produkt schöner aussehen zu lassen, haltbarer zu machen oder den Geschmack zu optimieren. Bekannt sind solche Zutaten unter den Namen Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Stabilisatoren, Emulgatoren, Aromen usw. Besonders im Fast-Food Bereich finden sich sehr viele solche stark verarbeiteten Nahrungsmittel, bei denen man aus Kostengründen auf hochwertige Zutaten verzichtet und diese mit Zusatzstoffen auszugleichen versucht. Es ist naheliegend, dass frische, wenig verarbeitete Nahrungsmittel (z.B. Früchte und Gemüse) wesentlich gesünder sind als stark verarbeitete Lebensmittel. Dies wurde bei neueren Studien auch mehrfach bestätigt.¹

Was heisst «Ultra-Processed Food»?

Mit «Ultra-Processed Food» (UPF) bezeichnet man stark verarbeitete Lebensmittel. Eine genaue Definition gibt es nicht. Allerdings gibt es ein Einteilungssystem, das sich durchgesetzt hat, das NOVA-System:

  1. Unverarbeitete oder geringfügig verarbeitete Lebensmittel
  2. Verarbeitete kulinarische Zutaten (z.B. Salz, Öl, Zucker etc.)
  3. Verarbeitete Lebensmittel (z.B. frisch gebackenes Brot)
  4. Ultraverarbeitete Lebensmittel und Getränke (z.B. Tiefkühlpizza, Tütensuppen)

Im Gegensatz zu anderen Einteilungen von Lebensmitteln, welche Aufschluss über deren Gesundheitswert geben sollen, spielen in dieser Einteilung die eigentlichen Zutaten (Inhaltsstoffe) von Lebensmitteln keine Rolle. Eine Garnele, die mit Antibiotika gefüttert wurde, viele Schadstoffe aus dem Meer enthält und tiefgefroren verkauft wird, würde im System also die beste Bewertung erhalten. Ein reiner Bio-Apfelsaft (pasteurisiert und geklärt) schneidet schon etwas schlechter ab. Als isoliert betrachtetes System kann diese Einteilung deshalb kaum etwas über den Gesundheitswert eines Lebensmittels aussagen. Hinzu kommt, dass es selbst für Expert:innen nicht immer klar ist, in welche Gruppe ein bestimmtes Nahrungsmittel gehört.² Dennoch kann es als Leitlinie gelten, wenn man Produkte mit ähnlichen Zutaten miteinander vergleicht. Ein vorfrittierter Gemüse-Burger ist z.B. weniger gesund als schonend gedämpftes Gemüse. Kritisch wird es, wenn Lebensmittel miteinander verglichen werden, die völlig unterschiedliche Zutaten enthalten.

Ungesunde Fleischalternativen?

Der Begriff «Ultra-Processed Food» wurde interessanterweise vor allem im Zusammenhang mit Fleischalternativen populär und zumeist durch Personen verbreitet, welche Gründe gegen Alternativen zu tierischen Produkten suchen. Dies ist insbesondere bemerkenswert, wenn man sich die Zutatenliste eines üblichen tierischen Produktes ansieht:

Zutaten eines Bratens: Schweinefleisch, Wasser, Speck, Schwarten, Kochsalz, Glucosesirup, Stabilisatoren: Natriumacetate, Calciumlactat, Natriumcitrate, Natriumtartrat und Diphosphate, Würzmischung, Geschmacksverstärker: Mononatriumglutamat, Weizenfasern glutenfrei, Nitritpökelsalz (Kochsalz, Konservierungsstoff: Natriumnitrit), Natriumcaseinat, Milchzucker, Antioxidationsmittel: Ascorbinsäure, Natriumascorbat und Natriumcitrate, Säuerungsmittel: Gluconodelta-lacton, Glucose, Gewürzextrakte.³

Die Beschreibung «stark verarbeitet» trifft unweigerlich auch auf solche Produkte zu. Wie kam es dazu, dass der Begriff auch in den Medien meist nur im Zusammenhang mit Alternativprodukten (Fleischalternativen, Milchalternativen) erwähnt wird? Dafür muss man dem Ursprung dieser Frage auf den Grund gehen:⁴ In den USA gibt es ein «Center for Consumer Freedom» (Zentrum für Konsumentenfreiheit).⁵ Diese Organisation hat sich stark für die neue Bewertungsmethode von Lebensmitteln eingesetzt. Name und Website lassen zwar eine Konsumentenschutzorganisation erahnen, jedoch ist das Unternehmen eher mit einer Marketingagentur vergleichbar. Die Startfinanzierung erhielt das Zentrum vom Tabakkonzern Philipp Morris.⁶ Der Leiter des Zentrums, Richard Berman, hat früher für die Tabakindustrie lobbyiert und wurde zudem durch seine Angriffe gegen Tierschutzorganisationen bekannt. Die Organisation ist finanziell gut aufgestellt, sodass sie sich z.B. eine Werbeschaltung beim Super Bowl in den USA – welche als die teuerste Werbung der Welt gilt – leisten kann und mit ganzseitigen Inseraten in den New York Times und im Wall Street Journal wirbt. Diese finanziellen Mittel werden u.a. genutzt, um Fleischalternativen als unnatürlich und ungesund darzustellen.⁷ Auch wenn die starke Verarbeitung von Lebensmitteln ein gesundheitliches Risiko bedeutet, ist die Fokussierung auf Fleisch- und Milchalternativen ein Propaganda-Trick der Fleischindustrie – und deren Helfer. Ohne Einbezug der Art der Zutaten kann allein mit dieser Einteilung höchstens ein ganz grobes Urteil über ein Lebensmittel gefällt werden. Bezüglich Nährwerte und Inhaltsstoffe schneiden Fleischalternativen oft besser ab als die Produkte mit Fleisch.⁸ Mit dem Fokus auf den Verarbeitungsgrad lenkt die Fleischindustrie gekonnt davon ab.
Sobald man nicht nur den Verarbeitungsgrad, sondern auch die Rohstoffe der Produkte ansieht, stellt man fest, dass pflanzliche Produkte auch besser sind, wenn sie stark verarbeitet wurden. Die folgende Lancet-Studie «Consumption of ultra-processed foods and risk of multimorbidity of cancer and cardiometabolic diseases: a multinational cohort study» zeigte dies im November 2023 klar auf:

«Bei den UPF-Untergruppen waren die Assoziationen [zu den Krankheiten] am deutlichsten bei Produkten auf tierischer Basis sowie bei künstlich und mit Zucker gesüßten Getränken. Andere Untergruppen wie ultra-verarbeitetes Brot und Getreide oder pflanzliche Alternativen waren nicht mit dem Risiko verbunden.»

 

Verarbeitungsgrad als zusätzliches Gesundheitskriterium ist sinnvoll

Wirklich Sinn ergibt der Fokus auf den Verarbeitungsgrad nur, wenn innerhalb einer Produktgruppe Vergleiche angestellt werden. Beispielsweise ist eine aus frischem Gemüse hergestellte Gemüsesuppe gesünder als eine, die aus dem Beutel kommt und aus gefriergetrocknetem Gemüse und vielen Zusatzstoffen besteht. Einen Gemüseburger mit einem Hackfleischburger zu vergleichen und dabei nur auf den Verarbeitungsgrad zu achten, führt zu keinem sinnvollen Ergebnis. Als zusätzliche Bewertungsgrundlage über den Gesundheitswert eines Nahrungsmittels bringt die Berücksichtigung des Verarbeitungsgrades also durchaus einen Mehrwert. Ohne Berücksichtigung der Zutaten und Rohstoffe eines Lebensmittels, kann es jedoch in die Irre führen.

Renato Pichler

Veg-Info-Coverbild
Dieser Artikel erschien zuerst im Veg-Info 2023/4.

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