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25.09.2023 | Renato

Derzeit liegt der Netto-Selbstversorgungsgrad der Schweiz bei nur 49 Prozent.¹ Für die Hälfte unserer Nahrungsmittel sind wir vom Ausland abhängig. Dies liegt nicht daran, dass zu wenig Landwirtschaftsland zur Verfügung stehen würde. Hauptgrund ist, dass wir zu viele tierische Nahrungsmittel produzieren und dafür grosse Mengen an Futtermittel importieren müssen. Zusätzlich wird auf über der Hälfte der Schweizer Ackerfläche Tierfutter anstelle von Lebensmitteln für den direkten menschlichen Konsum angebaut.²

Wie viel Fleisch stammt von weidenden Rindern?

Die Fleischwerbung suggeriert, dass das meiste Fleisch von Tieren stammt, die ausschliesslich Gras fressen.3 In der Realität ist dies jedoch ein fast ver­nach­lässigbar kleiner Anteil. Die heutigen Hoch­leis­tungs­rinder können den gewünschten Ertrag in der Regel nicht ohne (importiertes) Kraftfutter wie etwa Soja erbringen. Pro Kilogramm Rind­fleisch wer­den in der Schweiz neben anderen Futtermitteln durch­schnitt­lich 173 Gramm Soja benötigt.4 Für die Schwei­zer Rinder wurden im Jahr 2020 insgesamt 6,1 Millio­nen Tonnen Futter eingesetzt (Trocken­masse, inkl. Gras bzw. Heu).5 Das viel beworbene «Weidefleisch» exis­tiert deshalb tatsächlich vor allem in der Werbung.Fast die Hälfte, und damit der Grossteil des in der Schweiz produzierten Fleisches, stammt vom Schwein, knapp ein weiteres Viertel von Hühnern.6 Beide werden nicht mit Gras gefüttert und sind keine Weidetiere. Stattdessen fressen sie beispiels­weise Getreide oder Mais und sind damit direkte Nahrungskonkurrenten des Menschen. Nur bei rund einem Viertel der in der Schweiz für die Fleisch­produktion gehaltenen Tiere handelt es sich um Rinder, von denen wiederum nur ein kleiner Teil ohne importiertes Kraftfutter auskommt. Das Problem dabei: Durch den Umweg über den Tier­magen wird die Nahrungskette verlängert, sodass je nach Tierart 50 bis 90 Prozent der Kalorien der als Tiernahrung angebauten Lebensmittel verloren gehen. Deshalb ist die Produktion von pflanzlichen Lebensmitteln der effektivste Weg, um den Ertrag einer bestehenden Landfläche zu erhöhen.

Anteile verschiedener Tierarten an Fleischproduktion.
Nur ein kleiner Teil des Fleisches stammt von Weidetieren/Wiederkäuern.

Weideflächen, die eigentlich Ackerflächen sind

Wie viel Weideland gibt es in der Schweiz? Dies erfasst die landwirtschaftliche Lobbyorganisation «Schweizerischer Bauernverband». Das Bundes­amt für Statistik (BfS) übernimmt die Daten unge­prüft.7 Auf Anfrage, welche Flächen als Weideflächen gelten erklärt das BfS, dass dazu alle jene zählen, die momentan als Weideflächen genutzt werden. Das heisst: Auch wenn ein frucht­barer Ackerboden gerade als Weidefläche genutzt wird, erscheint dieser Ackerboden in der Statistik als Weidefläche. Je mehr Tiere aktuell weiden, desto grösser ist also auch die Schweizer «Weide­fläche». Aus diesem Grund zählt der Bund rund zwei Drittel des Schweizer Landwirt­schafts­lands zu den Weide­flächen. Als Ackerland gelten nur 27 Prozent des land­wirt­schaft­lich genutzten Landes (Obstanlagen und Reben machen zusätzliche 3 Prozent aus).8 Wie viele der Flächen, die aktuell als Weiden genutzt werden, auch als Ackerland dienen könnten, wird vom BfS dagegen nicht erfasst.
Das Bundesamt für Statistik schreibt dazu jedoch in ihrer Arealstatistik: «Dauerweiden finden sich längst nicht nur an schattigen Steilhängen, son­dern auch in ebenen Tallagen».9 Die sogenannten Heimweiden (an den Hof angrenzende und damit in der Regel eben gelegene Weiden) haben in den letzten Jahrzehnten sogar um über 33 Prozent zuge­nom­men, während die Obstbauflächen um die Hälfte zurück­gingen. Besonders Weiden in «ebenen Tallagen» kön­nten oft auch für den Ackerbau genutzt werden und stehen deshalb meist in Konkurrenz zur Lebens­mittel­pro­duktion für Menschen. Die Zu­nah­me der Weide­flächen lässt sich zudem nicht damit erklären, dass sich immer weniger Landwirt­schaftsland für den Ackerbau eignen würde.

Kuh auf Weide
Viele Rinder weiden heute auf Ackerflächen, die in der Statistik als «Weideland» erfasst werden.

Hülsenfrüchte als Eiweisslieferanten

Insgesamt werden auf 60 Prozent der Schweizer Acker­­flächen Futtermittel angebaut.2 Würden dort Lebens­mittel für den direkten menschlichen Konsum pro­duziert und so der Umweg unserer Nahrung über das Tier eingespart, könnten wesen­t­lich mehr Kalorien erzeugt und somit auch mehr Menschen ernährt werden.10 Zurzeit muss ein Grossteil der in der Schweiz von Menschen kon­sumierten Hül­senfrüchte (Erbsen, Linsen, Soja) aus dem Ausland importiert werden, da das Schweizer Ackerland für Tierfutter (Futtergetreide, Mais) oder als Weide­fläche verschwendet wird. Tatsächlich herrscht auf dem Schweizer Markt seit Jahren ein Mangel an Erbsen und anderen Hülsenfrüchten. Dabei wird beispielsweise im Jura bereits seit vielen Jahren erfolgreich Soja für den inländischen Lebens­mittelmarkt angebaut. Würde der Rest der Schweiz diesem Beispiel folgen und vom ineffizienten Futtermittelanbau zum Anbau pflanzlicher Nah­rungs­mittel übergehen, könnte der Netto-Selbst­ver­sor­gungsgrad deutlich gesteigert werden.
Vom vermehrten Hülsenfrüchteanbau würde auch die Umwelt profitieren, denn die auch als Legu­minosen bezeichneten Pflanzen führen dem Boden wertvollen Stickstoff zu. So könnte der umwelt­belastende Einsatz von Kunstdünger sowie Fäkali­endüngung (Mist und Gülle) reduziert werden. Bisher wurden kaum Hülsenfrüchte für die mensch­liche Ernährung in der Schweiz angebaut, da deren Produktion nur für die Verwendung als Tierfutter vom Bund subventioniert wurde. Dies hat sich erst anfangs 2023 geändert: Nun gibt es auch Subven­tionen für Hülsenfrüchte, die der menschlichen Er­nährung dienen – auch wenn es sich dabei um einen sehr kleinen Betrag handelt, verglichen mit den Sub­ventionen für die Tierhaltung. Zudem gibt es einen Grenzschutz für einheimische Körner­le­gu­minosen, die ausschliesslich als Futtermittel einge­setzt wer­den. Körnerleguminosen für die mensch­li­che Er­nähr­ung haben einen vernachlässigbar kleinen Schutz.11 Dies macht es weiterhin attraktiver, Tierfutter statt Ei­weiss­pflanzen für die Menschen anzubauen.
Sojabohnen für die menschliche Ernährung kön­nen problemlos in der Schweiz angebaut werden – siehe unten das Foto eines Sojafeldes in Winterthur. Sie liefern wesentlich mehr Eiweiss für die mensch­liche Ernährung als der Anbau von Tierfutter.

Sojabohnenfeld in Winterthur
Sojabohnenfeld in Winterthur.

Mehr Selbstversorgung, weniger «Nutz»tiere

Würden in der Schweiz anstelle von Futtermitteln Hülsenfrüchte angebaut, könnte ein Vielfaches der derzeit produzierten Kalorien erzeugt werden. Durch die Nutzung von Ackerflächen, die zurzeit noch als Weideflächen verwendet werden, entstünde ein gros­­ses Potential zur zusätzlichen Nahrungs­mittel­pro­duktion. Dieses könnte zusammen mit einer Reduktion der Nahrungsmittel­verschwend­ung (Food-Waste), wie sie bereits seit längerem vom Bund angestrebt wird, sogar noch weiter gesteigert werden. 2021 wurden in der Schweiz auf 59 700 Hektare 450 000 Tonnen Futtergetreide angebaut. Hinzu kommen 513 000 Tonnen importiertes Futter­ge­treide. Insgesamt wurden damit fast eine Million Tonnen Getreide an Nutztiere verfüttert. Zusätzlich wurden in der Schweiz 5 501 Hektare Eiweiss­pflanzen angebaut (z. B. Erbsen und Ackerbohnen), die nahezu ausschliess­lich der Tierfütterung dienen. Trotzdem stammen rund 70 Prozent des im Kraft­futter enthaltenen Proteins aus Importen.11

Jährlich wird in der Schweiz fast 1 Million Tonnen Getreide an Tiere verfüttert.

In der Schweiz besteht grosses Potential für den Anbau von Eiweisserbsen, Kichererbsen, Linsen, Ackerbohnen, Lupinen, Hanf(nüssen), Hafer und Hirse. Diese pflanzlichen Lebensmittel könnten für die direkte menschliche Ernährung auf den frei werdenden Flächen angebaut werden, wenn die Produktion tierischer Nahrungsmittel heruntergefahren wird. Damit würde der Selbstversorgungsgrad gesteigert, die Ernährung der Bevölkerung könnte den offiziellen Gesundheitsempfehlungen angepasst werden (weniger Fleisch, mehr Hülsenfrüchte) und die Umwelt würde entlastet. Mit einer solchen vermehrt pflanzlichen Ernährung könnte die Schweiz sich aus eigenem Boden sogar vollständig selbst versorgen – falls dies einmal nötig sein sollte.12

Die Ineffizienz der tierischen Nahrungsmittelprodukton zeigt sich auch in den weltweiten Zahlen: Nur 33% des weltweiten Agrarlandes wird für die pflanzliche Nahrungsmittelproduktion genutzt. Damit können jedoch 82% der Ernährungskalorien und 63% des Proteinbedarfs für die Weltbevölkerung gedeckt werden. Der Beitrag der restlichen 77% der Agrarfläche, die für die tierische Nahrungsmittelproduktion genutzt werden, ist nur ein Bruchteil davon.13

Sind Alpen Weideflächen?

Alpwiesen werden oft als ideale Gebiete zur Fleisch- und Milchproduktion angesehen. Es stimmt, dass sich diese Gegenden nicht gut als Ackerflächen eignen. Doch auch Gras wächst in diesen hohen Lagen nur langsam, weshalb mit dem somit eher spärlichen Futter nur sehr reduzierte Mengen tieri­scher Produkte hergestellt werden können. Für die Ernährung der Schweizer Bevölkerung ist die Nahrungsmittel­produktion in den Alpen (trotz der grossen Fläche) deshalb kaum relevant. Die zusätzlichen Fäkalien der Rinder kön­nen zudem zu einer Überdüngung der Mager­wiesen führen. Ausserdem belastet das sehr hohe Gewicht der Rinder den empfindlichen Boden. Neben einer Kuh ist der mächtige Stein­bock geradezu ein Leicht­gewicht: Ein Steinbock wiegt zwischen 75 und 120 kg, eine Kuh kann zwischen 500 bis 800 kg auf die Waage bringen.

Körpergewicht der verschiedenen Tierarten.

Durch dieses hohe Gewicht kann der fragile Boden geschädigt werden. Und weil die Alpweiden verhindern, dass sich Bäume oder Büsche aus­brei­ten, sind oft zusätzliche Lawinen­über­bauungen notwendig. Die geringe Nahrungsmittel­produktion in den Alpen lohnt sich nicht, weshalb die Berg­bauern zusätzliche Subventionen vom Bund er­halten, da sie sonst wirtschaftlich noch unrentabler wären als die Talbauern – und dies, obwohl sie ihre Produkte wesentlich teurer verkaufen können. Hinzu kommt, dass durch den Klimawandel in den Alpen immer häufiger Wasser­mangel herrscht. Im Jahr 2022 mussten bereits 4,3 Millionen Liter Wasser von der Schweizer Luftwaffe in 700 Flugstunden per Helikopter auf die Alpbetriebe spediert werden. Von den privaten Helikopter­firmen, die einen noch grösseren Teil transportiert haben dürften, gibt es keine Zahlen.13 Der Wassermangel ist leicht nachzuvollziehen: Eine einzige Kuh trinkt täglich 100 Liter Wasser. Die Nutzung der Alpwiesen als Weideflächen ist auch deshalb nicht sinnvoll. Da sie nur minimal zur Ernährung der Bevölkerung beitragen wäre es angebrachter, wenigstens diese Bergregionen der Natur zurückzugeben. Durch eine pflanzlichere Ernährung ist es nicht mehr notwendig, jeden Quadratmeter Land für die Nahrungsmittel­pro­duktion zu nutzen.

 

Dieser Artikel ist in der Veg-Info-Ausgabe 2023-3 erschienen.

  1. Agrarbericht 2022; Selbstversorgungsgrad
  2. Bundesamt für Umwelt
  3. Schweizer Fleisch; Swissmilk: Schweizer Grasland und die Milch – das passt einfach
  4. Soja Netzwerk Schweiz: Faktenblatt, März 2023
  5. Agristat: Statistische Erhebungen und Schätzungen über Landwirtschaft und Ernährung: Kapitel 4: Versorgungsbilanzen, Seite 16
  6. Proviande: Fleischmarkt Übersicht
  7. Bundesamt für Statistik
  8. Bundesamt für Statistik: Landwirtschaftsflächen
  9. Arealstatistik – Nomenklatur Standardkategorien, Bundesamtes für Statistik, Seite 93
  10. Kampf gegen Food-Waste: Bundesrat startet Aktionsplan, 6.4.2022
  11. Bundesamt für Landwirtschaft BLW: Alternativen im Schweizer Pflanzenbau – Potenziale ausgewählter Ackerkulturen zur Lebensmittelmittelproduktion, Seite 9, Mai 2022
  12. Agrosope: Schweiz: Medienmitteilung des Bundes vom 19.7.2018.
  13. Trockenheit in den Bergen – Älpler schlagen Alarm, SRF, 28.6.2023
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