Eine neue Studie der Universität Basel zeigt, dass Kundinnen und Kunden in der Schweiz bereit sind, deutlich mehr Geld für tierfreundlich produzierte Kuhmilchprodukte auszugeben. Die Online-Umfrage mit knapp 1 000 Teilnehmenden ergab, dass Tierschutz diesen sogar wichtiger ist als ökologische Nachhaltigkeit.1 Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich die Frage, welche Auswirkungen eine biologische Herkunft von Kuhmilch tatsächlich auf das Tierwohl hat.
Bio-Milchkonsum in der Schweiz
Der Anteil von Bio-Milch an der Schweizer Gesamtmilchproduktion ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen: von 6,21 Prozent im Jahr 2013 auf 8,22 Prozent im Jahr 2023.2 Über die letzten fünf Jahre konnte jedoch eine Verschiebung der Umsatzanteile beobachtet werden, wobei vor allem die Kategorie «Trinkmilch» sowie die Kategorie «Joghurt» Umsatzeinbussen verzeichneten. Diese – aus veganer Sicht – positive Entwicklung der Umsatzeinbussen zeichnet sich auch bei konventionellen Milchprodukten ab und lässt sich möglicherweise auf die vielfältige Auswahl an pflanzlichen Alternativen zurückführen. Während der Konsum von Trinkmilch zurückging, hat jener von Bio-Käse etwas zugenommen. Allgemein lässt sich sagen, dass Bio-Milchprodukte trotz einer angespannten Wirtschaftslage auch 2023 (Zahlen für 2024 liegen noch nicht vor) beliebt waren.
Bio-Milchproduktion
Die Milchproduktion bei Kühen ist direkt an die Geburt eines Kalbes gebunden, da Kühe – wie alle Säugetiere (auch Menschen) – nur Muttermilch produzieren, um ihr Junges zu ernähren. Für eine kontinuierliche und gleichbleibend hohe Milchleistung müssen Kühe in der Regel ein Kalb pro Jahr gebären. Kühe sind ca. neun Monate (280 Tage) trächtig und kommen nach der Geburt in die sogenannte Laktationsphase, in der sie Milch produzieren. Von da an werden die Milchkühe etwa 10 Monate lang industriell gemolken. Um die Milchproduktion aufrechtzuerhalten, wird die Kuh während der Laktationszeit (meist nach etwa zwei bis drei Monaten) erneut künstlich besamt oder gedeckt, um ein weiteres Kalb auszutragen, sodass nach der Geburt die darauf folgende Laktationsphase abermals für die Milchgewinnung ausgenutzt werden kann.
Gemäss den Richtlinien von Bio Suisse muss eine Milchkuh im Stall mindestens 6 m² Platz zur Verfügung stehen – das ist bei einer Körperlänge von bis zu 2 Meter zwar immer noch wenig, aber trotz allem mehr als doppelt so viel Platz wie im Fall der konventionellen Anbindehaltung (2,0 bis maximal 2,2 m²) oder Laufstallhaltung (2,8 m²). Die Reviergrösse von Wildkühen (wie z. B. Banteng, Gaur oder Auerochsen) können 20 bis 100 Quadratkilometer oder mehr betragen, je nach Art, Standort und Ressourcenverfügbarkeit. Sie leben meist in Herden von 10 bis 30 Tieren. Anders als bei Hühnern gibt es für Bio-Milchkühe keine definierte Obergrenze für die Anzahl von Tieren pro Stalleinheit. Die Anzahl der gehaltenen Bio-Milchkühe leitet sich von der gesetzlichen Platzvorgabe im Verhältnis zur Grösse eines Betriebs sowie dessen finanzieller Mittel ab. Eine genaue Angabe für die durchschnittliche Anzahl Milchkühe auf Bio-Höfen gibt es nicht. Die grössten Milchbetriebe (konventionell betrieben) befinden sich im Kanton Genf mit durchschnittlich rund 56 Kühen pro Betrieb.3 Im Vergleich zu ihren wilden Artgenossen wird die Milchkuh nicht nur in der konventionellen, sondern auch in der Bio-Haltung fernab von ihrer ursprünglichen Lebensart – und damit auch fernab von jeglicher Artgerechtigkeit gehalten.
Weidegang
Während konventionelle Milchkühe theoretisch das ganze Jahr über im Stall gehalten werden können, ist der Weidegang für Bio-Milchkühe verpflichtend. Trotzdem muss davon ausgegangen werden, dass immer noch 20 Prozent der Bio-Kühe Lähmungserscheinungen aufweisen und rund ein Drittel von Euterentzündungen (Mastitis) betroffen ist – das sind genauso viele Tiere wie in konventionellen Betrieben.4
Gemäss den Bio-Suisse-Richtlinien sollen Milchkühe an mindestens 26 Tagen pro Monat für mindestens vier Stunden täglich auf die Weide gelassen werden – abhängig von Wetter bzw. Saison. Das bedeutet, dass den Tieren bei extremen Witterungsbedingungen wie starkem Regen, Kälte, Schnee oder Hitze kein Zugang zur Weide gewährt werden muss. Auch matschige oder gefrorene Böden können Ausnahmen rechtfertigen. Während der Wintermonate, wenn die Vegetation ruht und die Wetterverhältnisse den Weidegang unzumutbar machen, ist es erlaubt, die Tiere ausschliesslich im Stall oder in Ausläufen zu halten. Der Freigang muss in einem sogenannten Weidejournal dokumentiert werden. Auch die Anbindehaltung lässt Bio Suisse unter bestimmten Bedingungen zu. Im Jahr 2008 deckte ein Artikel im Beobachter auf, dass ein Bio-Bauer in der Nähe von Porrentruy (JU) seine 55 Milchkühe überwiegend im Stall hielt.5 Dieser Fall sorgt bis heute für Kritik an der Kontrolle und Umsetzung der Bio-Standards, da der Verstoss über einen längeren Zeitraum unentdeckt blieb und Zweifel an der Effizienz der Überwachungsmechanismen aufwarf.
Bio-Milch – ein Naturprodukt?
Allgemein wird Bio-Kuhmilch als Sammelprodukt betrachtet, das keine Rückverfolgbarkeit auf einzelne Kühe erlaubt. In der industriellen Milchproduktion – zu welcher auch die Bio-Produktion gehört – wird die Milch von sehr vielen Kühe in riesigen Sammelbehältern zusammengeführt. Ein Milchsammelwagen kann zwischen 10 000 und 25 000 Liter Milch transportieren. Die durchschnittliche Milchleistung von biologisch gehaltenen Kühen ist etwas geringer als bei konventioneller Haltung. Das hat zur Folge, dass bei einer Menge von rund 22 Liter pro Tag und Kuh, abhängig von der Lieferkette, ein Liter Bio- Milch die Milch einer Anzahl von 450 bis zu mehreren 1 000 Kühen enthalten kann! Jede Kuh gibt mit ihrer Milch einen Hormoncocktail von beispielsweise Laktationshormonen und Trächtigkeitshormonen (da sie zum Zeitpunkt des Melkens grossteils bereits wieder trächtig ist) ab, welche Einflüsse auf den menschlichen Körper haben könnten. Die Forschung hierzu ist noch nicht abschliessend.
Überzählige Bio-Kälber
Der Tierbestand an Bio-Milchkühen umfasste 2023 in der Schweiz rund 63 000 Tiere.6 Wie bereits zuvor erwähnt, ist für eine maximale Milchleistung eine Kalbung pro Jahr notwendig, was wiederum der Geburt von einem Kalb pro Bio-Milchkuh und Jahr entspricht – also 63 000 Kälbern. Der Einfachheit wegen wird im Rahmen dieses Textes angenommen, dass die Geschlechterverteilung dabei ausgeglichen ist und jeweils 31 500 männliche sowie weibliche Bio- Kälber 2023 das Licht der Welt erblickten. Während ein Viertel der weiblichen Kälber für die nächste Generation Bio-Milchkühe herangezogen wird, geht man landläufig davon aus, dass die überzähligen 55 125 Kälber (23 625 und somit drei Viertel der weiblichen Kälber, plus 31 500 männliche Kälber) in die inländische Fleischproduktion fliessen. Ist das wirklich so?
«Ich esse keine Baby-Tiere.»
Der Konsum von (Bio-)Kalbfleisch ist in der Schweiz eher wenig beliebt und so gehen auch die Bio-Schlachtviehmengen von Kälbern kontinuierlich zurück.7 Leider liegen keine Zahlen für den Konsum von Bio-Kalbfleisch vor. Generell ist Fleischkonsum hierzulande sehr selektiv. Während der Verzehr von Körperteilen wie Pouletschenkel oder -brust fast so etwas wie gesellschaftlicher Konsens ist oder Entrecôte vom Rind als etwas Besonderes angesehen wird, gilt beispielsweise der Verzehr von Innereien gar als ekelhaft. Ähnlich verhält es sich mit Lammkeule oder Spanferkel: Auch Menschen, die sich omnivor ernähren, finden es vermehrt unmoralisch, das Fleisch von Tierbabys zu essen, und lehnen es deswegen ab, was sich auch in einem niedrigen Konsum von Kalbfleisch widerspiegelt.
WOHIN VERSCHWINDEN DIE RUND 53 018 ÜBERZÄHLIGEN BIO-KÄLBER?
Bei einer Schweizer Gesamtschlachtzahl von 190 367 Kälbern machen Bio-Kälber nur ca. 1,1 Prozent der Kälberschlachtungen aus.8 Kalbfleisch belegt in der Statistik zur Entwicklung der Inlandanteile am Gesamtangebot im Jahresbericht 2023 «Der Fleischmarkt im Überblick» von Proviande den ersten Platz. Bedingt durch die kleine Körpergrösse und damit vergleichsweise geringe Masse ist der Fleischertrag pro Tier eher gering. Dennoch betrug der Selbstversorgungsgrad bei Kalbfleisch im selben Jahr etwa 97,6 Prozent, was bedeutet, dass der Grossteil des konsumierten Kalbfleischs aus inländischer Produktion stammte.9 Gemäss dem «Marktspiegel Biofleisch 2023» von Bio Suisse wurden in der Schweiz im Jahr 2023 lediglich 2 107 Bio-Kälber geschlachtet (ohne Direktvermarktung).10 Diese Zahl basiert auf Daten von Bio Suisse und umfasst die über den Handel erfassten Schlachtungen. Aber Moment mal, zurück zu den 55 125 überzähligen Kälbern! Wohin verschwinden die restlichen 53 018 Bio-Tiere?
Das Kälberproblem – traurige Realität
Ein Teil der überzähligen Bio-Kälber wird an konventionelle Betriebe verkauft. Warum? Weil es, wie die Zahlen zeigen, in der Bio-Landwirtschaft keine ausreichende Nachfrage nach Bio-Kalbfleisch gibt. Das macht dessen Vermarktung schwierig. Aus diesem Grund werden die Tiere, wenn überhaupt, in konventionellen Betrieben gemästet und geschlachtet. Dies bedeutet, dass sie ihre Bio-Zertifizierung verlieren. In vielen Fällen, vor allem bei Milchkuh-Rassen mit niedriger Fleischleistung (z. B. Holstein-Friesian), haben männliche Kälber wirtschaftlich nur einen sehr geringen Wert. Das führt dazu, dass sie entweder überdurchschnittlich früh geschlachtet oder direkt ins Ausland verkauft werden. Ein Blick auf den Selbstversorgungsgrad in unsere Nachbarländer zeigt, dass Frankreich, Deutschland, Italien und Österreich ihren Kalbfleischbedarf ebenfalls weitgehend durch die inländische Produktion decken können. Das wiederum legt die Vermutung nahe, dass die grosse Anzahl von überzähligen Kälbern eine weite Strecke zurücklegen muss, um an einen Ort zu kommen, an dem sie «gebraucht» werden können. Vermutlich werden sie in Länder transportiert, in denen entweder ein Mangel an (Kalb-)fleisch oder möglicherweise sogar ein Mangel an Nahrungsmitteln generell besteht.11 Egal, ob die Tiere innerhalb von Europa oder in einem weiteren Schritt nach Übersee bis nach Afrika gebracht werden: Sobald ein Kalb die Schweiz verlässt, greifen keine Schweizer Bio-Richtlinien mehr und das sowieso nur vermeintlich gesteigerte Wohl der Bio-Tiere findet sein endgültiges Ende.
Fazit
Wer glaubt, durch Bio-Milch(produkte) einen Beitrag für das Tierwohl zu leisten, muss sich bei genauerer Betrachtung eingestehen, dass das nicht der Fall ist. Auch Bio-Milch ist eine industrialisierte Massenware, bei deren Herstellung Tiere als wirtschaftliche Grundlage mehr wie Maschinen und weniger wie fühlende Lebewesen behandelt werden. Durch den Konsum von Bio-Milch entstehen mehrere tausend überzählige Kälber, die aus wirtschaftlicher Sicht aufgrund ihres Bio-Status auf dem Schweizer Lebensmittelmarkt keine Relevanz haben. Es ist ein Mythos, dass ein Grossteil der überzähligen Kälber aus der Milchindustrie in der inländischen Fleischproduktion landen. Was mit den vielen überzähligen Kuhbabys passiert, ist für die Endkundin nicht nachvollziehbar. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass die Tiere über Landesgrenzen hinweg transportiert werden, um entweder bereits auf dem Weg oder im Ankunftsland qualvoll zu verenden – unabhängig davon, dass ihre Mütter und Geschwister in der Bio- Milchindustrie mehr Platz, Auslauf oder eine bessere Futterqualität erhalten. Wer mit dem eigenen Konsum Rücksicht auf das Wohl von Tieren nehmen möchte, dem sei eine ausgewogene, vegane Ernährungsweise ans Herz gelegt.
- Fischer, O. (2025, 29. Januar). Für das Wohl der Kühe klingeln die Kassen. Universität Basel. https://www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Wohl-der-Kuehe-klingeln-die-Kassen.html
- Milchproduktion. (o. D.). Agrarbericht 2024. https://www.agrarbericht.ch/de/produktion/tierische-produktion/milchproduktion
- Statista. (2025a). Milchkühe pro Betrieb in der Schweiz nach Kanton 2023. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1411491/umfrage/milchkuehe-pro-betrieb-in-der-schweiz-nachkanton-2023/
- Bio-Milch von Bio-Kuh, oder: Was die Werbung nicht alles verbirgt. (2023, 6. Juli). Tier Im Fokus (TIF). https://tierimfokus.ch/nutztierhaltung/bio-milch/
- Bei der Knospe ist was faul. (2008, 29. März). Beobachter. https://www.beobachter.ch/gesellschaft/bio-label-bei-der-knospe-ist-was-faul
- BfS, TSM, Nielsen.
- Proviande. (2020). Der Fleischmarkt im Überblick. www.proviande.ch/sites/proviande/files/2020-05/DerFleischmarktimÜberbli…
- Statista. (2025b). Milchkühe pro Betrieb in der Schweiz nach Kanton 2023. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1411491/umfrage/milchkuehe-pro-betrieb-in-der-schweiz-nachkanton-2023/
- Statista. (2025c). Pro-Kopf-Konsum von Rind- und Kalbfleisch in der Schweiz bis 2024. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/289150/umfrage/pro-kopf-konsum-von-rind-und-kalbfleisch-in-der-schweiz/
- Müller, L. & Schweizer, K. (2023). MARKTSPIEGEL BIO-FLEISCH 2023. https://www.bioaktuell.ch/fileadmin/documents/ba/Markt/Fleisch/24_05_31_Marktspiegel_2023_Fleisch_DE.pdf
- Internationale Gesellschaft für Nutztierhaltung. (2019). Kälberaufzucht – Aspekte verschiedener Nutzungsformen. www.ign-nutztierhaltung.ch/sites/default/files/PDF/IGN_FOKUS_19_Kaelber…