«Tierquälerei!» sagen die einen. «Harmonisches Zusammenspiel » die anderen. Für manche ist Reiten ein Sport und eine Form der Kunst, für andere eine Ausnutzung des Pferdes. Wer hat recht?
Die Frage wird immer wieder kontrovers diskutiert: Ist es möglich, Pferde zu reiten und gleichzeitig ihre Freiheit zu respektieren? Oder ist Reiten grundsätzlich mit ethischen Konflikten verbunden? Und weshalb haben Menschen überhaupt das Bedürfnis, auf dem Rücken eines anderen Geschöpfs zu sitzen und es zu beherrschen? Um das zu verstehen, lohnt es sich, einen Blick in die jahrtausendealte Geschichte von Mensch und Pferd zu werfen.

Geschichtliche Betrachtung
Seit der Eiszeit betrachtete der Mensch den Einhufer als Nahrungsquelle, bis er vor rund 5 000 Jahren feststellte, dass sich das friedvolle Tier noch weiter (aus-)nutzen lässt und mit seiner Domestizierung begann. Der Homo Sapiens nutzte es während Jahrtausenden um weite Distanzen zurückzulegen und als Transportmittel. In kriegerischen Auseinandersetzungen wurde es als Zugtier für Streitwagen verwendet und als der Mensch sesshaft wurde, diente das Pferd zusätzlich in der Landwirtschaft.¹ Das zeigt: Ohne Pferd wäre vermutlich auch die Entwicklung des Menschen ganz anders verlaufen. Die «Reitkunst» zum Selbstzweck, wie wir sie heute kennen, entstand aus der militärischen Praxis.
Sport- und Freizeitgerät
Die heutige Sport- und Freizeitreiterei existiert seit den 1960er-Jahren. Laut der Schweizerischen Forschungsanstalt Agroscope wird der Grossteil der registrierten Pferde zum Ausreiten und Wanderreiten genutzt, rund sieben Prozent werden ausschliesslich gepflegt (Putzen und Weide) und ca. 20 Prozent wird im aktiven Turniersport wie Dressur oder Springen eingesetzt.² Man könnte also annehmen, dass die Mehrheit der Schweizer Pferde ein glückliches und sorgenfreies Leben führen. Doch weit gefehlt: Auch Freizeitpferde leiden unter ihren Reiterinnen und Reitern. Pferde können ihre Schmerzen nicht verbal äussern weshalb sogar geübte Reiter nicht erkennen, wenn sich das Pferd unwohl fühlt oder gar leidet. Dies trotz zahlreicher Indikatoren, anhand derer Rückschlüsse bezüglich Wohlbefinden des Tieres gezogen werden können. Ein Zeichen sind die sogenannten «Sorgenfalten» oberhalb der Augen. Vereinfacht gesagt: Je zahlreicher und je steiler die Falten, desto unglücklicher das Pferd.³ Im Reitsport sorgen verschiedene Faktoren für Stress und Leid bei den Tieren.

Das beginnt schon bei der Ausrüstung, die alles andere als sanft ist: Trensen führen im Pferdemaul zu Schmerzen,⁴ liegt doch das Metallstück im zahnfreien Maulbereich und drückt auf die Zunge, welche mit unzähligen Schmerzrezeptoren durchzogen entsprechend empfindlich ist. Dazu kommen Nasenbänder, die verhindern sollen, dass sich das Pferd durch Aufsperren des Mauls der Einwirkung der Trense entzieht. Je enger diese verschnallt werden, desto gestresster ist das Pferd.⁵ Auch gebisslose Zäumungen, die gemeinhin als sanfter gelten, können Schmerzen verursachen: Oftmals sind jene Teile, die auf dem Nasenrücken liegen, mit Metall verstärkt. Auch schwere und/ oder falsch sitzende Sättel sowie Hilfszügel sind eine Belastung für die Pferde.
Gesundheitliche Probleme
Dazu kommen mangelnde Reitkenntnisse, falsche Signale und grobe Einwirkungen – keine Seltenheit auf Schweizer Reitplätzen, sondern eher die Norm. Oftmals geschieht dies nicht aus böser Absicht, sondern schlicht aus mangelndem Können – für das Pferd macht dies jedoch keinen Unterschied. Viele Pferde leiden deshalb unter gesundheitlichen Problemen, wozu Rücken- und Gelenkbeschwerden sowie psychische Erkrankungen zählen. Auch ein zu hohes Gewicht der reitenden Personen, führt beim Pferd zu Schmerzen und Lahmheiten.⁶ Dennoch existieren keine Gesetze, wie viel Last einem Pferd zugemutet werden darf. Eine Empfehlungen des Schweizerischen Verbands für Pferdesport (SVPS) lautet, dass ein Pferd nicht mehr als 15 Prozent seines Körpergewichtes (exklusiv Sattel und Ausrüstung) tragen darf. Dies würde für ein durchschnittliches Warmblutpferd mit einem Gewicht von 500 Kilogramm bedeuten, dass sein Reiter bzw. seine Reiterin maximal 75 Kilogramm wiegen darf. Der wissenschaftliche Konsens geht jedoch eher davon aus, dass 10 Prozent des Eigengewichtes ideal wären. Das wären beim oben genannten Beispiel aber nur noch 50 Kilogramm Reitergewicht – der Durchschnittsschweizer wiegt jedoch deutlich mehr. Welche Argumente sprechen denn nun für das Reiten? Viele sind es nicht. Die ehemaligen Steppentiere würden in freier Wildbahn bis zu 50 Kilometer pro Tag zurücklegen, was ihnen in den üblichen Haltungsformen verwehrt bleibt. Der Reitsport kommt daher dem natürlichen Bewegungsdrang der Tiere entgegen, was als Argument genutzt wird, Pferde reiten zu «müssen».

Pferdeleid verhindern
Jede und jeder von uns hat die Möglichkeit, aktiv Pferdeleid zu verhindern: Vermeiden Sie Angebote wie Kutschenfahrten, Ponyreiten für Kinder oder geführte Reittouren. Diese finden insbesondere in Urlaubsdestinationen unter prekären Bedingungen statt. Besuchen Sie keine Anlässe wie das Sechseläuten, Pferdeshows oder Zirkusvorführungen, bei denen Pferde für Unterhaltungszwecke missbraucht werden. Für das Pferd als Fluchttier sind solche Situationen mit extrem viel Stress verbunden.
Artgerechter Umgang
Doch welche Möglichkeiten gibt es, mit Pferden ohne Stress und potenzielles Tierleid in Kontakt zu treten? Der wichtigste Punkt ist sicherlich eine Haltungsform, die ihren natürlichen Bedürfnissen entspricht: Dazu gehören das Leben im Herdenverband, eine Raufutteraufnahme während rund 16 Stunden täglich sowie die Möglichkeit, sich frei zu bewegen. Ist dies erfüllt, merken viele Reitende, dass das Pferd gar nicht mehr so stark beschäftigt werden möchte. Dieses Phänomen lässt sich wunderbar auf Altersweiden beobachten, wo Pferde unter ihresgleichen einfach sein dürfen. Natürlich freuen sich manche Pferde über Putz- und Streicheleinheiten, gemeinsame Spaziergänge oder Läufe, während andere froh sind, unbehelligt zu bleiben. Denn wie besagt ein Sprichwort so schön: «Ein Pferd ohne Reiter ist immer ein Pferd. Ein Reiter ohne Pferd ist nur ein Mensch.»
1 Isenbügel, E. (2002). Vom Wildpferd zum Reitpferd. In Schweiz.Arch.Tierheilk. (Bd. 144, Nummer 7, S. 323–329). Verlag Hans Huber. https://sat.gstsvs.ch/fileadmin/media/ pdf/archive/2002/07/SAT144070323.pdf
2 Agroscope. (o. D.). Kennzahlen der Schweizer Pferdebranche 2024. www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/ themen/nutztiere/pferde/haras-forschung-sng/harasforschung- kennzahlen-schweizer-pferdebranche-2024.html #-1347016410
3 Are eyes a mirror of the soul? What eye wrinkles reveal about a horse’ emotional state. (2016). In PLoS ONE. https://doi.org/ 10.1371/journal.pone.0164017
4 Mellor, D. J. (2020). Mouth Pain in Horses: Physiological Foundations, Behavioural Indices, Welfare Implications, and a Suggested Solution. Animals, 10(4), 572. https://doi.org/10.3390/ani10040572
5 Fenner, K., Yoon, S., White, P., Starling, M. & McGreevy, P. (2016). The Effect of Noseband Tightening on Horses’ Behavior, Eye Temperature, and Cardiac Responses. PLoS ONE, 11(5), e0154179. https://doi.org/10.1371/journal. pone.0154179
6 Dyson, S., Ellis, A. D., Mackechnie-Guire, R., Douglas, J., Bondi, A. & Harris, P. (2019). The influence of rider:horse bodyweight ratio and rider-horse-saddle fit on equine gait and behaviour: A pilot study. Equine Veterinary Education, 32(10), 527–539. https://doi.org/10.1111/eve.13085
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