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Praxisbeispiel BSE

Wirtschaftsförderung vs. Volksgesundheit

Oder: Die Rinderwahnsinns-Krise der Landwirtschaftspolitik.

Ein Artikel aus der Zeit, als die Seuche als akut galt illustriert auch heute die Probleme einer von der Fleischlobby bemächtigten Politik.

Hauptsache gesund! Wer kennt diesen Ausspruch nicht! Offenbar wird er aber immer mehr zur leeren Redewendung: Besonders wenn es um den Erhalt von Arbeitsplätzen geht, scheint die menschliche Gesundheit zunehmend einen zweitrangigen Platz einzunehmen. Dabei sind sich sogar die Politiker und die Mehrheit der Bevölkerung einig. Kein Wunder also, dass es auch im Kampf gegen den Rinderwahnsinn offensichtlich nicht ausschliesslich um das Wohl der Menschen, sondern um eine Interessenabwägung zwischen Wirtschaft und Gesundheit ging.

Was heisst BSE? 
BSE ist die Abkürzung von bovine (=Rind) spongiforme (=schwammartig) enzephalopathie. Also eine schwammartige Erkrankung des Gehirns. Beim ersten Auftreten dieser Erkrankung in England wurde es umgangsprachlich «mad cow disease» genannt, woraus im deutschen Sprachraum «Rinderwahnsinn» wurde.


Nach allem, was man bisher weiss (und das ist relativ wenig) entstand der Rinderwahnsinn vermutlich durch Profitgier von Menschen, die immer mehr am Fleisch verdienen wollten: Zur schnelleren Mast wurden Tier- und Blutmehl an Wiederkäuer und andere sogenannte Schlachttiere verfüttert. Dieses «Kraftfutter» wurde in manchen Ländern nicht nur aus Schlachtabfällen hergestellt, sondern ausnahmslos aus allen anfallenden Kadavern. Hinzu kam, dass die Verarbeitungstemperatur aus Kostengründen gesenkt wurde.

Nachdem die dramatischen Folgen dieser Praktiken zuerst in Grossbritannien immer deutlicher geworden waren, reagierte die englische Regierung lange Zeit mit Vertuschung und Verharmlosung, um die wirtschaftlichen Interessen der Fleischindustrie nicht zu tangieren. Aber auch in Deutschland zeigte sich deutlich, dass dort dieselbe kurzsichtige Taktik verfolgt wurde: Noch eine Woche vor dem ersten BSE-Fall in Deutschland waren die deutschen Politiker die stärksten Bremser gegen BSE-Vorsichtsmassnahmen in der EU. Sie wehrten sich unter anderem vehement gegen ein Tiermehlverfütterungsverbot für Schweine, Hühner und Fische. Auch in der Schweiz erlebt man immer wieder, wie sich die Politik für die Fleischindustrie stark macht, koste es, was es wolle. 

Ernährungs-/Landwirtschaftsausgaben des Schweizer Bundes 1999: 
4197 Millionen Franken


Eine solch finanzkräftige Lobby mit vielen Vertretern in Bern wird auch in Zukunft alles daran setzen, ihre Macht (und somit ihre Geldquelle) zu behalten. Längst ist allgemein bekannt, dass die Fleischproduktion ein riesiges Defizitgeschäft ist, das nur durch Steuermilliarden am Leben erhalten werden kann. Dabei werden die schädlichen Auswirkungen eines hohen Fleischkonsums immer eindrucksvoller durch wissenschaftliche Studien bestätigt! Unzählige Krebs- und Herzkreislauferkrankungen (Herzinfarkt!) liessen sich durch eine Ernährung ohne tierische Fette und Eiweisse, kombiniert mit einem generell gesünderen Lebensstil, vermeiden.1 Heute zählen diese Krankheiten jedoch in den grossen Industriestaaten (inkl. der Schweiz) weiterhin zu den häufigsten Todesursachen. Wenn also die Gesundheit angeblich das Wichtigste sein soll: Weshalb hat noch nie jemand der Fleischindustrie den Kampf angesagt? 

Zürcher BSE-Forscher Bruno Oesch: 
«BSE-Erreger können auch im Blut und höchstwahrscheinlich auch im Muskelfleisch nachgewiesen werden.» 
Limmattaler Tagblatt AZ, 24.11.2000


Vielleicht können die Konsumentenschutzorganisationen, denen nur einen winziger Bruchteil der finanziellen und personellen Möglichkeiten der Fleischindustrie zur Verfügung stehen, damit nicht wirkungsvoll genug gegen den wirtschaftlichen Goliath antreten? Oder gibt es zu viele Politiker, die selbst über einen eigenen Bauernhof bzw. eine Tierfabrik an den Milliardensubventionen beteiligt sind und diese auch deshalb nicht kürzen wollen? 
Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet die stark subventionierte Milchindustrie, im Gegensatz zu allen anderen Nahrungsmittelherstellern, für ihr Produkt mit (wissenschaftlich sehr fragwürdigen) Gesundheitsanpreisungen werben darf?

Man muss wohl kein Pessimist sein, um hinter all dem ein System zu erkennen: 
Die wirtschaftlichen Aspekte haben die Interessen der Volksgesundheit definitiv verdrängt. 
Mehr noch: Mit kranken Menschen lässt sich sogar viel besser Geld verdienen als mit Gesunden. Schliesslich sind die 40 Milliarden Franken für jährliche Gesundheitsausgaben ein Posten, der auf einer anderen Seite wieder zu Einnahmen wird... 

Schweizer Rindfleischkonsum 
Vom Januar bis September 2000 nahm der Konsum von Rindfleisch um 6,3% ab, derjenige von Kalbfleisch sogar um 13,2%. 
Hingegen nahm der Konsum von Charcuterie um 2,3% und derjenige von Würsten um 1,5% zu. BSE konnte bisher nur bei älteren Kühen (über 20 Monaten) festgestellt werden. Hauptverwendungszweck dieses nicht mehr so zarten Fleisches: Würste und Terrinen. 
Neue Fleisch AG, zitiert in Schaffhauser Nachrichten, 24.11.2000.


Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die Aufgabe, für die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung zu sorgen. Leider wird dieses Hauptziel immer mehr durch wirtschaftliche Interessen unterwandert. Allerdings tun Regierungsstellen normalerweise das, was das Volk ihnen erlaubt oder von ihnen verlangt – und dieses Volk scheint selbst fest im Griff der pharmazeutischen Industrie und anderer Lobbyisten aus dem medizinischen Bereich zu sein. Schliesslich lernt schon von klein auf jeder Bürger, dass der Arzt, und nicht er selbst, für seine Gesundheit verantwortlich ist. Die Ärzte ihrerseits sind vor allem spezialisiert auf die Wiederherstellung der Gesundheit und nicht unbedingt auf deren Erhaltung. Folgerichtig wird zur Besserung der Volksgesundheit nicht etwa vorrangig das Vermeiden von Krankheiten verlangt, sondern deren Behandlung. 

Der Export des französischen Rindfleisches erbrachte 1999 umgerechnet 3,6 Mrd. Franken. 
Cash, 24.11.2000


Der BSE-Test

Von einer verunsicherten Bevölkerung wird nun ein BSE-Schnelltest verlangt, durch den aber ein BSE-Befall erst nach der Schlachtung festgestellt werden kann, und selbst dies gelingt nur bei älteren Rindern. Das Untersuchungsverfahren ist also nicht wirkungsvoll genug, um die Krankheit schon im Anfangsstadium zu entdecken. Aus diesem Grund muss bei einer Forderung nach einem BSE-Test für Rinder, die im Alter von über 20 bzw. 30 Monate geschlachtet werden, bedacht werden, dass damit nur alte Milchkühe oder Zuchtbullen geprüft werden, deren Fleisch wegen seiner zäheren Konsistenz nur für Wurstwaren, Terrinen etc. verwendet wird. Das Kalb- und Rindfleisch, welches man zum Beispiel als Schnitzel in der Metzgerei kauft, stammt aber praktisch ausschliesslich von Rindern, die spätestens im Alter von 20 Monaten getötet wurden. Niemand kann also weiterhin sein Steak in aller Ruhe essen, selbst dann nicht, wenn das Fleisch von einem auf BSE-untersuchten Tier stammt! 
Man muss den Schweizer Behörden zugute halten, dass sie schon sehr früh ein Tiermehlverfütterungsverbot für Rinder erliessen, wenn auch aus Kostengründen weiterhin (bis zumindest Herbst 2000) die Verfütterung des Tiermehls an alle anderen Tiere erlaubt blieb. Durch den öffentlichen Druck in diesen letzten November- und ersten Dezembertagen scheint sich diese Haltung jedoch zu ändern. Die berechtigte Sorge der Konsumenten scheint also nun endlich grösser zu werden als der wirtschaftliche Druck der Fleischindustrie. 
Bleibt nur noch abzuwarten, ob für die Entsorgung der Schlachtabfälle alle Schweizer Steuerzahler (auch die Vegetarier!) zur Kasse gebeten werden. Leider ist etwas anderes nach den bisherigen Erfahrungen aber kaum zu erwarten. 
 

200’000 Tonnen Schlachtabfälle fallen pro Jahr in der Schweiz an. 
Cash, 24.11.2000


Manche mögen nun einwenden, dass das Ganze nicht zu einseitig gesehen werden darf: Die Behörden taten schliesslich ihr Möglichstes, um jeglichen Schaden von der Bevölkerung fernzuhalten und waren von wirtschaftlichen Überlegungen unberührt. 
Schliesslich sind die Schweizer Behörden ja bekannt dafür, dass sie nicht überstürzt reagieren und alle Massnahmen sorgfältig abwägen. 
Sehen wir uns also einmal an, wie die Behörden reagieren, wenn die Gesundheit der Schweizer Bevölkerung gefährdet erscheint, und keine wirtschaftlichen Interessen im Spiele sind: 

Der Stevia-Fall

Stevia Rebaudiana ist eine Pflanze, mit extrem süssen Blättern. Diese Blätter dienen in diversen Ländern schon seit langem als Süssstoff. In Japan beispielsweise lag der Verbrauch 1987 bei 700 Tonnen Steviablätter (bzw. daraus verarbeitete Produkte). Bis heute ist keine Erkrankung bekannt, die man auf diesen Süssstoff zurückführen kann, im Gegenteil: Untersuchungen wiesen sogar darauf hin, dass er die Kariesentwicklung und sogar die Bildung von Zahnbelag hemmt;2 ausserdem wird der Blutzuckerspiegel nicht so erhöht wie beim herkömmlichen Zucker (Sacharose). Also ein unbedenklicher, natürlicher Süssstoff? 
Die Behörden sind anderer Meinung. Im Juli 1999 wurde ein Bewilligungsgesuch für den Verkauf des Produktes als Süssstoff vom BAG vorläufig abgelehnt mit der Begründung, dass noch zu wenige wissenschaftliche Studien die Unbedenklichkeit des Stoffes bewiesen. 
Als im Herbst desselben Jahres noch ein Rattenversuch3 (!) bekannt wurde, bei dem man gesundheitliche Nachteile des Süssstoffes bei Ratten feststellte, wurden sogar sämtliche Lagerbestände der Steviahändler beschlagnahmt. Damit stand das Schweizerische BAG nicht alleine. Auf denselben Rattenversuch stützten sich auch die Gesundheitsbehörden der EU und diejenige der USA und vollzogen ähnliche Massnahmen. 
Ganz offensichtlich spielten bei diesem Entscheid keine wirtschaftlichen Interessen eine Rolle. Oder doch? Für die Zuckerindustrie wurde eine unliebsame, mögliche Konkurrenz aus dem Weg geschafft, und die Zahnärzte (und weitere Berufsbereiche, welche die Folgen der Gesundheitsschäden des weissen Zuckers beseitigen) profitierten nebenbei auch noch. 
Unabhängig davon, ob es gerechtfertigt ist, ein Produkt wegen eines Rattenversuches zu verbieten, welches vermutlich viel gesünder wäre als der zugelassene (und vom BAG nie auf seine Schädlichkeit geprüfte) Industriezucker4, stellt sich die interessante Frage: 

Was wäre, wenn das BAG ohne Rücksicht auf (Fleisch-)Wirtschaftsinteressen auch beim Rinderwahnsinn genauso energisch vorgegangen wäre?

Zur Erinnerung: Es wird heute allgemein angenommen, dass BSE auf den Menschen übertragbar ist und dort eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung auslöst (vCJK). Weiter ist allgemein akzeptiert, dass daran schon mehrere Dutzend Menschen gestorben sind. Eine grössere Epidemie durch Ausbreitung dieser unheilbaren Krankheit schliesst momentan kein Wissenschaftler aus. Dass BSE bei den Rindern durch Tiermehl übertragen wird, ist die anerkannteste und auch von den Schweizer Behörden akzeptierte Theorie, obwohl auch weitere, bisher noch nicht bekannte, Faktoren nicht ausgeschlossen werden können (z.B. Pestizide im Futter oder Medikamenteneinsatz bei der Rinderhaltung, wie z.B. das Insektizid Phosmet).

Ein mögliches BSE-Szenario, das keine Rücksicht auf die Fleischindustrie nimmt: 

  1. Nach Bekanntwerden von BSE bei Rindern und Verdacht der Übertragung durch Tiermehl:
    Sofortiges europaweites Verbot der Tiermehlverfütterung, zumindest an Wiederkäuer, mit rigorosen Kontrollen. Vernichtung der kritischsten Produkte: Hirn, Rückenmark und Nervengewebe.
    Realität: Die Schweiz führte dies sehr früh ein, die anderen Staaten folgten zum Grossteil erst um Jahre später. Kontrolliert wurde nur in wenigen Staaten mit der nötigen Konsequenz, so dass weiterhin quer durch Europa Tiermehl verfrachtet und verfüttert wurde. In Deutschland, wo man bis vor kurzem noch stolz mit angeblich BSE-freien Fleischprodukten warb, war z.B. auch die Verwendung von Hirn in Wurstwaren bis ins Jahr 2000 erlaubt! 
    Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Aussage des Bundesamtes für Veterinärwesen vom November diesen Jahres, in der eingeräumt wurde, dass es immer wieder zu Verunreinigungen von Rinderfutter mit für andere Tiere zugelassenem Tiermehl und auch zu Verwechslungen der Futtermittel kommen könne.
  2. Nach Bekanntwerdung der Übertragbarkeit von BSE auf den Menschen: Beschlagnahmung sämtlicher möglicherweise tödlicher Nahrungsmittel (wie bei Stevia, wo bereits ein einziger Rattenversuch dafür genügte). Also ein Verbot des Rindfleischverkaufs, bis die Sache definitiv geklärt ist.
    Realität: Im Gegensatz zum Steviafall ist dieses konsequente Vorgehen natürlich ausgeschlossen. Es gibt zwar im Zusammenhang mit BSE schon viele Tote, und hunderttausende könnten noch folgen, dennoch reagierte das BAG beim Steviafall mit viel grösserer Härte, obwohl nicht mal eine einzige Erkrankung aufgetreten worden war. Und die Reaktion der EU? Wenn mehr als die Hälfte des gesamten Haushaltes für die Landwirtschaft ausgegeben wird, kann man sich ein hartes Vorgehen gegen diese Lobby unmöglich vorstellen.

Schlussfolgerung

Je grösser die Lobby eines Nahrungsmittels ist, desto mehr Schaden darf sie ungestraft anrichten. Herzinfarkte, Krebstote und sogar Todesfälle durch vCJK werden in Kauf genommen, wenn ein Lebensmittel nur eine ausreichend starke wirtschaftliche Rückendeckung hat. 
Allerdings soll hier auch nicht verschwiegen werden, dass die Verbraucher selbst einiges zu dieser dramatischen Ernährungs-Situation beigetragen haben: Die meisten lassen sich noch immer vom günstigsten Preis verführen und glauben der Werbung. Da nur sehr wenige Konsumenten beim Einkauf auf Tierschutz oder Ökologie achten, könnte die offizielle Reaktion der Bundesämter kaum anders ausfallen. Oder könnten Sie sich die Konsequenzen eines Bundesrats-Beschlusses vorstellen, dass anstelle der Fleischindustrie ab sofort die fleischalternativen Produkte mit Milliardensubventionen gefördert werden sollen? 
Es braucht ein grundsätzliches Umdenken in der Gesellschaft, bevor die Ursachen, die zu der BSE-Katastrophe geführt haben, beseitigt werden können. Dies kann man weder den Behörden, noch der Wirtschaft überlassen, man muss dort damit beginnen, wo es am schwersten fällt: Bei sich selbst! Eine pflanzenbasierte Ernährung ist ein erster, aber entscheidend wichtiger Schritt auf diesem schwierigen Weg. 

Renato Pichler

  1. World Cancer Research & American Institute for Cancer Research: «Food, Nutrition and the Prevention of Cancer: a global perspective», 1997, ISBN 1-899533-05-2, 670 Seiten. Und: Dean Ornish: «Revolution in der Herztherapie», 1992, Kreuz-Verlag, ISBN 3-7831-1197-8, 496 Seiten.
  2. Zum Beispiel nach Untersuchungen der Dental Science Group an der Universität Purdue in Indiana/USA (www.purdue.edu).
  3. Pezutto, J. et al.: Metabolically activated steviol, the aglycone of stevioside, is mutagenic; Proc. Natl. Acad. Sci. USA 82 (1985) p. 2478-2482.
  4. Siehe dazu auch der Artikel über Süssstoffe: Honig und andere Süssungsmittel. (aktueller Link einfügen)
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