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Stellungnahme zur "Massentierhaltungsinitiative"

Logo der MassentierhaltungsinitiativeSwissveg setzt sich für einen effektiven Tierschutz ein. Wir unterstützen politische Vorstösse, welche den Konsum tierischer Produkte reduzieren oder das Los der Tiere verbessert. Nach sorgfältiger Analyse der Initiative "Keine Massentierhaltung in der Schweiz (Massentierhaltungsinitiative)" (MTI) von Sentience Politics sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Initiative nicht hält, was sie verspricht und der Titel suggeriert. Aus Sicht von Swissveg könnte diese Initiative den Tieren sogar mehr schaden, als sie möglicherweise nützen könnte. Deshalb unterstützt Swissveg diese Initiative nicht aktiv.

Kurzversion weshalb Swissveg die Initiative nicht unterstützt:
Die Initiative fordert, im direkten Gegensatz zu ihrem Namen, keine Abschaffung der Massentierhaltung, sondern nur deren Reduzierung auf das Niveau der heutigen Biofleischproduktion. Das heisst, es wären z.B. weiterhin 8000 Küken oder 4000 Hühner in einer Halle erlaubt. Für das Tierwohl wären jedoch maximal 80 bis 100 Tiere in einer Herde zulässig. Zu anderen Tierarten (Schweine, Rinder etc.) macht die Initiative keine Angaben über die Anzahl Tiere pro Stall. Aus unserer Sicht ergäbe sich keine ausreichende Verbesserung für die Tiere.

  1. Die Initiative verbreitet den Irrglauben, dass es in der Biofleischproduktion keine Massentierhaltung geben würde (obwohl auch dort eine Halle mit 8000 Küken erlaubt ist). Biofleisch wird als völlig unproblematisch dargestellt: Die Würde der Tiere wird gemäss Initiative dort vorbildlich beachtet. Deshalb wird die Bioverordnung als ethische Referenz angegeben.
  2. Egal, ob die Initiative angenommen wird oder nicht: In beiden Fällen wird das Volk danach glauben, dass es in der Schweiz keine Massentierhaltung gebe: Entweder wegen der Initiative oder weil der Bundesrat im Abstimmungskampf informiert, dass es bei den Tierarten längst Höchstbestandsgrenzen gebe und Massentierhaltung in der Schweiz nicht existiert.
  3. Falls die Initiative vom Volk angenommen werden würde, hiesse dies, dass die Fleischindustrie künftig behaupten könnte, dass es in der Schweiz keine Massentierhaltung mehr geben würde, obwohl dies nicht zutrifft. Selbst bei sehr enger Auslegung der Initiative hätten die Tierhalter 25 Jahre Zeit um etwas zu verändern. Bis zum Jahr 2045 wären damit effektive Massnahmen zur Beendigung der Massentierhaltung – mit Verweis auf diese Initiative – blokiert.

Details zur Initiative (grün eingerückt der Initiativtext):

1 Der Bund schützt die Würde des Tieres in der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Die Tierwürde umfasst den Anspruch, nicht in Massentierhaltung zu leben.

Die Auffassung des Parlamentes und des Bundesrates ist, dass in der Schweiz keine Massentierhaltung existiert (diese gäbe es nur im Ausland). Die Tierwürde haben wir im Tierschutzgesetz im Artikel 1 bereits verankert: "Zweck dieses Gesetzes ist es, die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen."
Es gibt in der Schweiz zu jeder Tierart bereits Höchstgrenzen der Anzahl Tiere pro Stall.
Natürlich sind diese Höchstgrenzen viel zu hoch, doch dies ist nur die Meinung der Tierschützer, nicht die des Bundesrates. Die Initiative selbst würde bei korrekter Umsetzung nur die Höchstbestandesgrenze bei Hühnern reduzieren (noch weit oberhalb der Tierwohlgrenze). Bei allen anderen Tierarten werden die Höchstbestandesgrenzen durch die Initiative nicht verändert.

2 Massentierhaltung bezeichnet die industrielle Tierhaltung zur möglichst effizienten Gewinnung tierischer Erzeugnisse, bei der das Tierwohl systematisch verletzt wird.

Der Bund hatte bereits die Aufgabe, beim bisherigen Schweizer Tierschutzgesetz Ausführungsbestimmungen zu erlassen, damit es den Schweizer Tieren gut geht. Das Resultat: Er hat bestimmt, dass praktisch alles, was in der Landwirtschaft üblich ist, als tierfreundlich gilt. Dieser Paragraph wird also vorraussichtlich keine Wirkung haben.
Der Bund (und alle Bauern und Kontrollorganisationen) ist ja schon heute der Meinung, dass in der Schweizer Landwirtschaft das Tierwohl nicht systematisch verletzt wird. Er hat die Verordnung zu den Haltungsbestimmungen bereits entsprechend erlassen. Ausserdem ist die Definition der Massentierhaltung etwas schwammig. Eine «möglichst effiziente Gewinnung tierischer Erzeugnisse» wird es immer geben, so lange die Tierhalter von diesen «Erzeugnissen» ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen.
Gemäss dieser Definition der Massentierhaltung wird sich der Bund also nicht veranlasst sehen, irgend etwas zu tun, da er gemäss dieser Definition die Massentierhaltung in der Schweiz schon längst abgeschafft hat. Die ganze Initiative könnte somit politisch ignoriert werden.

3 Der Bund legt Kriterien insbesondere für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse je Stall fest.

Zu alledem gibt es bereits Bestimmungen vom Bund. Hier wird also nichts Neues gefordert.

4 Er erlässt Vorschriften über die Einfuhr von Tieren und tierischen Erzeugnissen zu Ernährungszwecken, die diesem Artikel Rechnung tragen.

Grundsätzlich begrüssen wir diesen Ansatz. Dieser Bereich wird demnächst durch eine bereits anlaufende Initiative abgedeckt: Ein Zusammenschluss von vielen Tierschutzorganisationen ist dabei, eine Initiative zu lancieren, die auch politisch über die Parteigrenzen hinweg abgestützt ist und bei der auch Sentience Politics Unterstützung zugesagt hat. [Nachtrag vom April 2019: Die Initiative gegen den Import von tierquälerisch erzeugten Produkten, die in der Schweiz verboten sind, wurde derzeit etwas zurückgestellt.]

Art. 197 Ziff. 122
12. Übergangsbestimmungen zu Art. 80a (Landwirtschaftliche Tierhaltung)
1 Die Ausführungsbestimmungen zur landwirtschaftlichen Tierhaltung gemäss Artikel 80a können Übergangsfristen von maximal 25 Jahren vorsehen.
2 Die Ausführungsgesetzgebung muss bezüglich Würde des Tiers Anforderungen festlegen, die mindestens den Anforderungen der Bio-Suisse-Richtlinien 2018 entsprechen.
3 Ist die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 80a nach dessen Annahme nicht innert drei Jahren in Kraft getreten, so erlässt der Bundesrat Ausführungsbestimmungen vorübergehend auf dem Verordnungsweg.

Das Hauptziel von Bio Suisse ist nicht die Würde des Tieres zu wahren, sondern den Biolandbau zu fördern (also auch die Fleisch und Milch produzierenden Biobauern). Es ist zudem sehr aussergewöhnlich, die Standards einer privaten Organisation (Bio Suisse) in der Bundesverfassung zu verewigen. Auch im Biolandbau ist die Haltung von mehreren tausend Hühnern in einer Halle erlaubt. Die Hackordnung bei Hühnern funktioniert jedoch nur bis zu 80 bis 100 Hühnern, alles darüber verursacht bei den Hühnern einen Dauerstress – egal ob 18`000 Hühner in einer Halle sind (wie derzeit erlaubt) oder nur wenige tausend. Das enthornen der Kühe, das vergasen neugeschlüpfter Küken und einiges mehr ist auch im Biobereich üblich. Trotz diesen Mängeln wäre dieser Verweis auf die Bioverordnung der einzige mögliche Punkt, bei dem die Initiative evtl. den Tieren ein wenig Besserung bringen könnte. Jedoch nicht bezüglich Massentierhaltung, denn die Hühner werden kaum merken, ob sie in einem Stall mit 4000 oder 18000 Hühner gehalten werden. Und für die anderen Tierarten gibt es gar keine Begrenzung der Höchstanzahl Tiere in einem Stall. Selbst wenn der Bund also die Initiative wortgetreu umsetzen würde, würden die Tiere davon kaum etwas merken.
Die Initiative suggeriert also fälschlicherweise, dass es in der Biolandwirtschaft keine Massentierhaltung geben würde. Zudem enthält die Bioverordnung nur bei wenigen Tierarten überhaupt Höchstgrenzen für die Tierhaltung, wie folgende Auszüge aus der aktuellen Bio Suisse Verordnung belegen.

Angaben in der aktuellen Bioverordnung bezüglich Massentierhaltung/Haltungsgrössen (diese möchte die Initiative als Grundlage verwenden)

Auszug aus der Bioverordnung.

5.1.2 Kälber: In der Kälbermast und Remontenaufzucht bis zum Abtränken mit betriebsfremden Tieren beträgt die maximale Gruppengrösse 20 Tiere. [isoliert von ihren Müttern!]

5.2.1.1 Masse (Schafe): Keine Maximalzahl, jedoch Mindestfläche pro Tier.
5.3.1.1: Dasselbe für Ziegen.

5.1.1.3: Masse (Schweine): Flächenvorschriften je nach Anzahl Tiere. [Keine Beschränkung für maximale Tierzahl!]
(5.4.1.1 Randbemerkung: Mutterschweine dürfen alle paar Monate für 7 Wochen isoliert gehalten werden – mit ihren Ferkeln)

5.5 Geflügel:
Bei der Legehennenhaltung sind maximal zwei Stalleinheiten pro Betrieb zugelassen. Pro Stalleinheit sind maximal 2‘000 Legehennen oder 4‘000 Aufzuchthennen zulässig. Die Aufzucht für den eigenen Betrieb ist zusätzlich zu den zwei Stalleinheiten möglich.

5.5.2.2
Bei Voraufzucht von Legehennenküken für den eigenen Junghennenstall können jeweils während der ersten 6 Lebenswochen bis zu 8’000 (statt 4’000) Tiere in derselben Stalleinheit gehalten werden.
Die Höchstbestände (4’000 Tiere) dürfen beim Einstallen von Aufzuchttieren um 4 Prozent überschritten werden. Alle Anforderungen (Platz, Troglänge, Sitzstangenlänge usw.) müssen für alle eingestallten Tiere (also für 4’160 Junghennen) eingehalten werden. Beim Einstallen von Eintagsküken dürfen die Höchstbestände um maximal 6 Prozent überschritten werden (max. 4‘240 Tiere).

5.5.2.3 Besatzdichte
Im Stall darf die Besatzdichte nicht mehr als 8 Junghennen pro m2 begehbare Fläche betragen. In Ställen mit integriertem AKB kann der Tierbesatz in der Nacht 13 Junghennen pro m2 begehbare Fläche betragen. Der maximale Tierbesatz pro m2 Stallgrundfläche beträgt 24 Junghennen (ab 43. Alterstag).
[AKB = Aussenklimabereich]

5.5.4.1 Ställe und Herdengrösse:
Je Stallabteil dürfen maximal 150 Wachteln oder 33kg LG gehalten werden. Ein Stallgebäude beherbergt max.1’500 Wachteln. [Wachteln sind Zugvögel! Eine solche Haltung kann nie tiergerecht sein.]
[LG = Lebendgewicht]

5.5.5.2 Ställe und Herdengrösse (Mastgeflügel)
Als Stalleinheit gelten ein oder mehrere Gebäude, in welchen die maximale Tierzahl von zwei Herden (Gänse, Truten, Enten, Pouletvormast), bei Pouletausmast von 4 Herden, gehalten werden kann. Die maximale Herdengrösse muss der entsprechenden Mastgeflügelart angepasst sein. Sie beträgt bei Poulets in der Vormast 2’000 Tiere und in der Ausmast 500 Tiere, bei Truten, Enten und Gänsen 250 Tiere.

5.5.5.3 Besatzdichte
Der Tierbesatz im Stall darf bei Mastpoulets 40 Tiere/m2 bis maximal zum 28. Alterstag betragen. Werden die Tiere bereits am 21. Tag umgestallt, dann ist ein Tierbesatz bis 50 Tiere/m2 möglich.
In der Ausmast beträgt der maximale Tierbesatz im Stall 20kg LG/m2. Mit einem anrechenbaren Aussenklimabereich ist im Stall ein Tierbesatz bis 25kg LG/m2 möglich.
Bei Truten, Enten und Gänsen ist im Stall ein maximaler Tierbesatz von 20kg LG/m2 erlaubt

5.6.1.4 Remonten und Mastkaninchen
Für ältere Mastkaninchen beträgt die maximale Gruppengrösse 15 Tiere.

Unterstützung der Initiative:

Ob man eine Initiative unterstützt oder nicht, sollte kein emotionaler Entscheid sein, sondern auf fundierter Analyse beruhen. Immerhin geht es bei einer Volksinitiative um hundertausende Franken und unzählige Stunden von Aktivisten, die dafür eingesetzt werden. Diese kann man dann nicht mehr für andere Projekte, die den Tieren dienen, einsetzen. Wir haben hier deshalb auch die wichtigsten Folgen einer Annahme und Ablehnung der Initiative zusammengestellt:

Folgen der Annahme wären:

  1. Es ändert sich für die Tiere viele weniger als durch den Initiaitvtitel versprochen (siehe Begründung oben).
  2. Die Fleischindustrie hat ein weiteres Argument, um ihr Schweizer Fleisch zu bewerben: Die Massentierhaltung ist in der Schweiz gesetzlich verboten. (Und selbst Tierrechts- und Veganorganisationen haben dies so mitgetragen!)
  3. Eine weitere Initiative zu diesem Thema (welche die Massentierhaltung weitergehend abschaffen würde) wäre praktisch verunmöglicht.
  4. Da die Übergangsfristen 25 Jahre betragen werden, ist politisch das Thema "Massentierhaltung" so lange praktisch blokiert. Eine ganze Generation lang wird man in diesem Bereich also nur erschwert weiter machen können, da man immer auf die noch nicht umgesetzten Massnahmen dieser Initiative verweisen kann. Falls die Initiative schnell zur Abstimmung gelangt und angenommen werden würde, würden die Tiere also erfahrungsgemäss erst gegen das Jahr 2045 etwas davon merken. Demgegenüber profezeien Experten bereits 2030 den Zusammenbruch der heutigen Fleischproduktion wegen der immer besser werdenden pflanzlichen Alternativen und den neuen Technologien um Fleischalternativen herzustellen.

Falls die Initiative abgelehnt werden würde, könnte dies diese Folgen haben:

  1. Es könnte in der Politik als Zeichen aufgefasst werden, dass die Schweizer Bevölkerung die Massentierhaltung nicht grundsätzlich ablehnt, also im Tierschutz in diese Richtung nichts mehr unternommen werden muss.
  2. Hauptargument des Bundesrates (auch in der Abstimmungsbroschüre) wäre, dass es längst Höchstbestandsgrenzen in der Tierhaltung gibt und deshalb das Gesetz unnötig sei, da die Massentierhaltung in der Schweiz längst durch unsere gute Tierschutzverordnung abgeschafft sei. Das Volk würde also davon ausgehen, dass die Massentierhaltung in der Schweiz nicht existiert.
  3. Eine weitere Initiative zu diesem Thema wäre auf viele Jahre hin verunmöglicht (dies würde als Zwängerei aufgefasst und abgelehnt werden).

In beiden Fällen wird also der Bevölkerung fälschlicherweise vermittelt, dass die Schweiz keine Massentierhaltung hätte – obwohl diese weiterhin bestehen bleibt. Egal, ob die Initiative angenommen oder abgelehnt wird. Wir halten dies im Sinne des Tierschutzes für zu risikoreich. Wir denken nicht, dass dies ein kleiner Schritt in die richtige Richtung wäre.

Effektiver Tierschutz ist nicht nur emotional
Swissveg setzt seine beschränkten Ressourcen so effektiv wie möglich ein (siehe: Effektiver Altruismus). Aus unserer Sicht macht es wesentlich mehr Sinn, die Kräfte für einen echten Fortschritt für die Tiere zu bündeln, als zu hoffen, dass bei dieser Initiative die Tiere einen kleinen Fortschritt bemerken werden. Die Lancierung einer Volksinitiative kostet inkl. Abstimmungskampf mehrere hunderttausend Franken. Deshalb muss man sich sehr genau überlegen, wofür man dieses Geld einsetzt. Wir setzen uns seit Beginn für die bereits mit weit über 100'000 Unterschriften eingereichte Trinkwasserinitiative ein, welche indirekt wesentlich mehr gegen die Massentierhaltung erreichen würde, als obige Initiative, falls sie bei Annahme vollständig vom Bund umgesetzt wird. Diese bereits eingereichte Initiative würde tatsächlich zur Abschaffung der Massentierhaltung in der Schweiz führen.

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