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Fleisch- oder Pflanzenfresser?

Die Annahme, der Mensch sei von Natur aus dazu vorgesehen, Fleisch zu essen und als Jäger und Sammler dank Fleisch stark geworden, wird selten hinterfragt. Wie aktuelle Forschungsergebnisse zunehmend zeigen, widersprechen diverse biologische Merkmale sowie historische Funde dieser These jedoch.

Wie war das damals in der Steinzeit?

OmnivorInnen rechtfertigen ihren Fleischkonsum häufig über die Tradition des Fleischessens in der Geschichte der Menschheit. In keinem anderen Lebensbereich ziehen wir Steinzeitmenschen als Vorbild heran und ignorieren damit sämtliche kulturellen und spirituellen Fortschritte seit der Steinzeit – warum also, um unseren Fleischkonsum zu rechtfertigen? Und gibt es überhaupt eine Grundlage für diese Argumentation?

Waren wir «Jäger und Sammler»?

AnthropologInnen bezweifeln mittlerweile, dass in der Urzeit Fleisch gegessen wurde. Entgegen der gängigen Redensart waren unsere VorfahrInnen wohl eher «Sammler und Gejagte» als «Jäger und Sammler». Fleisch wurde vermutlich sehr selten konsumiert, denn die Jagd auf Tiere war so aufwendig, dass sich die Menschen wohl in erster Linie von leichter zugänglichen Lebensmitteln wie Nüssen, Früchten, Samen und Beeren ernährten. 1

Frühere Studien haben jedoch einen angeblich erhöhten Fleischkonsum zur Zeit des Homo erectus mit der Entwicklung eines grösseren Gehirns in Verbindung gebracht und Fleisch als ausschlaggebend für die Weiterentwicklung der menschlichen Spezies betrachtet. Aktuelle Forschungsergebnisse relativieren diese Funde: Einerseits stützt sich die Annahme, dass der Homo erectus deutlich mehr Fleisch als seine Vorgängerspezies gegessen hat, auf unzureichende Fossilienfunde. Gleichzeitig ist der entsprechende Abschnitt der menschlichen Entwicklung verhältnismässig «übererforscht» – es gibt schlicht mehr Forschung zum menschlichen Essverhalten in dieser Zeit, und damit auch mehr Hinweise auf den Konsum von Fleisch. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild von der Bedeutung von Fleisch für die menschliche Entwicklung. In der Tat gibt es gemäss neuster Forschungsergebnisse keine Hinweise darauf, dass der Fleischkonsum des Menschen in der entsprechenden Epoche dauerhaft gestiegen ist. Dass Fleisch tatsächlich eine tragende Rolle in der Entwicklung des modernen Menschen gespielt hat, ist gemäss den AutorInnen demnach unwahrscheinlich. 2

Selbst in der nahen Vergangenheit ernährte sich die Mehrheit der Menschen zudem hauptsächlich vegetarisch, da sie sich Fleisch kaum oder gar nicht leisten konnten. In keiner Zeit der Menschheitsgeschichte gab es einen so hohen Fleischkonsum wie heute. Aus Traditionsgründen könnte folglich genauso gut für eine vegetarische Ernährung plädiert werden.

Sind Menschen biologisch gesehen VegetarierInnen?

Als moderne Menschen tun wir eine Vielzahl von Dingen, die biologisch nicht vorgesehen waren – sei es telefonieren, Brillen tragen, Bücher lesen oder Operationen vornehmen. Eine Argumentation mit Bezug auf biologische Voraussetzungen macht also wenig Sinn – schliesslich zeichnet sich der Mensch eben nicht durch seine biologischen Grundlagen aus, sondern durch das, was er aus ihnen macht. Die gesamte menschliche Entwicklung seit der Steinzeit ist nicht eine biologische, sondern eine psychologische: Alles, worin wir uns heute vom Steinzeitmenschen unterscheiden – vom Zähneputzen bis zur Anerkennung der Menschenrechte – ist nicht die Folge einer biologischen Bestimmung, sondern das Ergebnis einer kulturellen Entwicklung. 3

 

Anatomievergleich: Früchteesser – Fleischesser

Auch aus anatomischer Sicht ist der Mensch kein Fleischesser, sondern am ehesten ein Früchteesser (Frugivore). Sein Körperbau unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem eines Fleischessers (Carnivoren) und ähnelt stattdessen vegetarisch lebender Tierarten.

 

  Früchteesser (Frugivore)
(Menschen, Menschenaffen)
Fleischesser (Carnivore)
(Löwen, Tiger, Wölfe ...)
Zähne: Abgeflachte Backenzähne zum Zermahlen der Nahrung. Reisszähne, stark entwickelte Eckzähne, spitze Backenzähne.
Speichel: Alkalischer Speichel für den Stärkeabbau; viele Speicheldrüsen zur Vorverdauung. Saurer Speichel zur Verdauung tierischen Proteins; es fehlt das stärkeabbauende Enzym Ptyalin; wenig Speicheldrüsen.
Kiefer: Seitlich bewegbar zum Zermahlen der Speisen. Nur Auf- und Abwärtsbewegung möglich, zum Reissen und Beissen.
Magen: Längliche Form, komplizierte Struktur; wenig Salzsäure und Pepsine. Einfacher runder «Sack» mit zehnmal mehr Salzsäure als bei Vegetariern, um zähe Tiermuskeln, Knochen etc. zu verdauen.
Darm: Lang und verschlungen, grosse Oberfläche. Kurz, glatt, damit das schnell verwesende Fleisch wieder rasch aus dem Körper gelangt.
Leber: Vermag nur die vom Körper selbst gebildete Harnsäure abzubauen (kaum Urikasebildung). Viel aktiver, vermag mit zehn- bis fünfzehnmal mehr Harnsäure fertig zu werden (grössere Urikasebildung).
Vitamin C: Tägliche Zufuhr über die Nahrung (Früchte) notwendig. Vermag Vitamin C selbst im Körper zu bilden.
Urin: Alkalisch. Sauer.
Haut: Millionen Poren, Schweissdrüsen. Keine Poren, kein Schwitzen durch die Haut.
Nägel: Flach, keine Krallen. Krallen.
Gang: Aufrecht, um Früchte von den Bäumen zu pflücken. Waagrecht für schnelle Fortbewegung auf der Jagd.
  1. Schoenherr, N.: ‘Man the Hunter’ theory is debunked in new book
  2. Barr, A.W. et al.: 'No sustained increase in zooarchaeological evidence for carnivory after the appearance of Homo erectus', 1.2.2022
  3. Dies ist ein Auszug aus Taschenbuch «Leichenschmaus – Ethische Gründe für eine vegetarische Ernährung» von Helmut F. Kaplan, ISBN 3-499-19513-5
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