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Brauchen SportlerInnen Fleisch?

Es sind einige aussergewöhnliche Leistungen von VegetarierInnen oder Fast-VegetarierInnen gemeldet worden, die enorme physische und mentale Anstrengung erforderten.

150 bis 300 Kilometer zu Fuss und ohne Pause zurückzulegen ist ganz klar eine überragende sportliche Leistung. Eine solche Strecke über unebene Bergpfade zu laufen und gleichzeitig einen traditionellen ràràhipa (Holzball) vor sich hinzukicken, ist sehr beeindruckend. Die Tarahumara Indianer von Chihuaha, ein Staat im Norden Mexikos, tun dies als normalen Teil ihres Lebens seit Hunderten von Jahren. Ihre tägliche Kost besteht vor allem aus Maisprodukten, Bohnen, Kürbissen, wilden Pflanzen und etwas Süsswasserfisch. Die Kalorienaufnahme wird auf etwa 1200 bis 1500 kcal täglich geschätzt. Milch, Fleisch und Eier sind rar und werden nur gelegentlich bei speziellen Anlässen konsumiert. Die Tatsache, dass die Tarahumara fähig sind solch lange Strecken mit einer tiefen Kalorieneinnahme, deren Werte einiges unter den empfohlenen Standardmengen von Eiweiss, Kohlenhydraten, Fett, Vitaminen und Mineralien liegt, regt zum Nachdenken an. 
Weniger bekannt, aber ähnlich hervorragende sportliche Leistungen werden von den Aymara Indianern aus der Titicaca-Region, von den chinesischen Kuli und den Sherpas berichtet. Diese ernähren sich sehr einfach und fast oder ganz vegetarisch. 
Ein 1000 km – Dauerlauf durch Deutschland, von den Baltischen Staaten zu den Alpen, hat die Tatsache bestätigt, dass ein ultralanger Distanzlauf in der Möglichkeit von Sportlern liegt, die sich vollwertig vegetarisch, mit viel frischen Früchten und rohen Gemüsen ernährten. 
Einige interessante Begebenheiten von Vegetariern, die hohe sportliche Leistungen vollbracht haben (wie am Welt-Vegetarier-Kongress 1982 in Ulm berichtet): 
Die Artistenfamilie Widmayer: Fogrund Widmayer ist im Alter von 14 Jahren Meisterin von Würtemberg in der rhythmischen Sportgymnastik geworden. Waltrud Widmayer (Künstlername: Thora von der Teck) ist ebenfalls im Alter von 14 Jahren Deutsche Jugendmeisterin auf dem fliegenden Trapez geworden. Beide Widmayer-Mädchen sind in der dritten Generation Vegetarier. 
Eine andere bemerkenswerte sportliche Leistung wurde vom französischen Vegetarier Bernard Gaschard im Alter von 66 Jahren vollbracht. Im Jahr 1998 hat er an einem Langstreckenlauf namens “Grand Raid de la Réunion” teilgenommen und wurde erster in seiner Altersgruppe. Auf einem sehr schwierigen Terrain, in tropischer Hitze hat er ohne einmal zu rasten 132 km in 35:58:50 Stunden zurückgelegt. Er ist seit 40 Jahren Vegetarier und konsumiert weder raffinierten Zucker noch Kaffee und Alkohol. 
Im Jahr 1998 wurde die Nahrung von sechs veganen Rohköstlern, die an einem Langstreckenradrennen (1450 km) teilnahmen, analysiert. Die sechs Teilnehmer, im Alter zwischen 21 und 78 Jahren, haben jeden Tag aufgeschrieben was sie gegessen und getrunken haben. Im Durchschnitt haben sie täglich 77 km mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 16 Stundenkilometern zurückgelegt. Die Untersuchung hat eine tägliche Energiezufuhr von 1348 Kalorien ergeben. Diese sehr tiefe Zahl liegt im Widerspruch mit einem täglichen Energieverbrauch von 4712 Kalorien. Diese Diskrepanz kann nicht ganz mit einem mittleren Gewichtsverlust von 4 Kilogramm erklärt werden. Einige Teilnehmer nahmen weniger als 2 Kilogramm ab. Das empfohlene Verhältnis der Energielieferanten in Form von 60 % Kohlenhydrate, 30 % Fett und 10 % Proteinen wurde eingehalten und die Teilnehmer erreichten Stockholm gesund und fit. 
1982 wurde bei Ruth Heidrich im Alter von 47 Jahren Brustkrebs diagnostiziert und zwei Jahre später wurde ihr eine Brust abgenommen. In der Folge wurde sie Veganerin, begann intensiv zu trainieren, nahm am Ironman-Triathlon von Hawaii teil und gewann in ihrer Altersgruppe sechsmal. 1997, im Alter von 63 Jahren, ist Ruth Heidrich nicht nur eine vegane «Ironlady», die 600 Trophäen, Medaillen und Auszeichnungen (mit 60 Rennen im Jahr 1997) gewann, sondern auch eine berühmte Rednerin und Autorin von zwei Büchern. In ihrem Buch: «Ein Rennen für’s Leben: vom Krebs zum Ironman», erzählt sie nicht nur ihre Geschichte sondern zeigt auf, dass mit einer Mischung aus gesunder Ernährung, intensivem Training und starkem Willen jedermann Krankheiten überwinden kann. 
Kürzlich, im Jahr 1998, hat die 31-jährige Schweizerin Natascha Badmann den 22. Triathlon von Hawaii gewonnen. «3,8 km zu schwimmen, 180 km Radfahren und dann 42 km unter sengender Sonne (40°C) zu laufen in nur 9:24:36 Stunden ist mit Sicherheit eine sportliche Höchstleistung par excellence.» Die Vegi-Powerfrau Natascha lebt seit zehn Jahren vegetarisch. 
Was ist nun aber mit Schnellkraftsportarten? Die meisten Sporternährungsfachbücher stellen die Eignung einer vegetarischen/veganen Ernährung für Kraftsportarten in Frage. Es ist jedoch eine Tatsache, dass zahlreiche Sportler, die Schnellkraft- und Muskelsportarten betreiben, Topathleten sind: 

  • Ridgely Abele (USA):achtmaliger US Champion in Karate.
  • Peter Hussing (Deutschland): 1979 Europäischer Amateurboxmeister in der Schwergewichtsklasse. 
  • Andreas Cahling (Schweden/USA): 1980 Mr. International Body Building. 
  • Ingra Manecke (Deutschland): 1977 bis 1982 Deutscher Meister im Diskuswerfen. 
  • Edwin Moses (USA): Olympia Goldmedaillensieger und Weltrekordhalter im 400m Hürdenlauf. 
  • Pat Reeves (UK): Veganerin, 1990-1998 British Womens’s Masters und Open Championships im Gewichtheben. 

Ebenfalls erwähnt werden müssen Surya Bonaly, Eiskunstlaufsiegerin (sechsmal Europameisterin), die Toptennisspieler Billy Jean King, Chris Evert-Lloyd und Martina Navratilova. All diese Elitesportler betreiben Sportarten, die Schnelligkeit und/oder Kraft erfordern. 
Aus wissenschaftlicher Sicht interessant ist in diesem Zusammenhang die Verwendung von Kreatin als Leistungsförderer. Es wird für die Kontraktionstätigkeit des Muskels gebraucht. Die Verfügbarkeit von Kreatin ist entscheidend für die Trainingsdauer mit Maximalintensität. Kreatin wird im Körper einerseits durch die körpereigene Biosynthese von zwei Aminosäuren in der Leber, Bauchspeicheldrüse und Nieren (Arginin und Lysin) gebildet. Andererseits kann es von aussen durch den Konsum von Fleisch zugeführt werden, da Fleisch einen relativ hohen Anteil an Kreatin enthält. Wie auch immer, die Studie von Harris et al. (1992) hat gezeigt, dass die zwei in ihrem Experiment untersuchten Vegetarier normale Kreatinwerte gehabt haben. In der Wissenschaftsliteratur, berichtet eine Studie, dass Vegetarier tiefere Kreatinkonzentrationen im Serum (Delanghe, 1989) haben. Da Vegetarier keine externen Quellen an Kreatin haben, glaubt man seither, sie seien schwache Sportler in Kraftdisziplinen. 
Aufgrund dieser widersprüchlichen Daten haben wir entschieden (Clarys et al, 1997) eine Doppelblindstudie über den Effekt einer zusätzlichen Kreatineinnahme bei der vegetarischen und nicht-vegetarischen Bevölkerung, die intensiv Sport betreibt, durchzuführen. Das Ergebnis dieser Studie war, dass die Zusatzeinnahme weder bei den Vegetariern noch bei den Nicht-Vegetariern eine Steigerung der Trainingsleistung bewirkte. Daher zeigt dieser Befund keinen wesentlichen Mangel an Kreatin bei Vegetariern, die ja einzig auf die körpereigene Biosynthese bauen können. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt zu behaupten, dass eine vegetarische Ernährung für Sportler, die Schnelligkeits- oder Kraftdisziplinen betreiben, nicht geeignet sei. 
Wenden wir uns nun einem anderen Mythos zu: Der Eiweissbedarf von vegetarischen Sportlern. Die Betonung der Wichtigkeit von Protein (Eiweiss) für sportliche Leistungen hat eine lange Geschichte. Sie geht bis zu den alten griechischen Athleten zurück, die grosse Fleischesser waren. Im 19. Jahrhundert wurde der alte Glaube «Fleisch macht stark» durch den berühmten Physiologen von Liebig bekräftigt. Er gab vor, dass Muskelenergie durch die Oxidation von Protein produziert werde. Ungeachtet der Tatsache, dass in den 1860igern, Wissenschaftler wussten, dass die bedeutensten Energielieferanten für die Muskelarbeit die Kohlenhydrate und einige ungesättigte Fettsäuren sind. Der Mythos «Fleisch macht stark» wurde bis ins 20. Jahrhundert begünstigt und aufrechterhalten. 
Heutzutage ist anerkannt, dass nur zirka 5 – 10% Eiweiss zur Bereitstellung von Energie während eines Ausdauertrainings gebraucht werden. In den Kraftdisziplinen resultiert der erhöhte Proteinbedarf von der erhöhten Oxidation von Aminosäuren (was bei Muskelarbeit geschieht). Andererseits ist der erhöhte Bedarf für die tatsächliche Ablagerung in der Muskelmasse klein, da Muskeln zu drei Vierteln aus Wasser bestehen. Eine schnelle Kalkulation demonstriert, dass eine Zunahme von 120 Gramm Muskelmasse pro Woche (nur 30 Gramm davon ist Protein) zusätzliches Protein von 4,3 Gramm pro Tag bedingen würde (ausgegangen wird von einer 100 % Ausnützung des Proteins). 
Die Meinung, dass Vegetarier den leicht erhöhten Proteinbedarf während Ausdauerwettkämpfen decken können, ist akzeptiert. Etwas schwieriger kann es für vegetarische Kraftsportler (z.B. Sprinter, Gewichtheber usw.) sein. Für diese Athleten ist empfehlenswert 1,5 – 1,8 Gramm pro Kilo Körpergewicht Protein zusätzlich einzunehmen. Das kann leicht erreicht werden indem man mehr proteinreiche Lebensmittel, wie z.B. Sojaprodukte und Hülsenfrüchte in den Speiseplan einbezieht. Es ist gut zu wissen, dass Eiweiss in Hülsenfrüchten, aufgrund des tieferen Sulfuraminosäurengehalts, eine geringere Kalziumausscheidung durch den Urin verursacht, verglichen mit tierischem Eiweiss. Vom Gesundheitsaspekt her gesehen ist nicht nur für vegetarische, sondern auch für nicht-vegetarische Sportler empfehlenswert den erhöhten Proteinbedarf durch die vermehrte Einnahme proteinreicher Nahrung pflanzlicher Herkunft zu begegnen. 
Zum Abschluss kann festgehalten werden, basierend auf Fakten und empirischen Daten, dass vegetarische Sportler auf höchstem Niveau in allen Sportdisziplinen mithalten können, sofern sie einer ausgewogenen und vollwertigen Ernährung folgen und diese auf die individuellen Bedürfnisse des Trainings abstimmen.

Prof. Dr. em. Marcel Hebbelinck 
Freie Universität Brüssel, V.U.B.

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