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«Wir haben sicher Schäden davon getragen, aber die Idee ist stärker»

Interview mit Felix Hnat zum Tierschutzprozess in Österreich:

Am 21.5.2008 wurden Felix Hnat und neun weitere Personen inhaftiert, nachdem vermummte und bewaffnete Polizeibeamte seine Wohnung gestürmt hatten. Felix Hnat wurden versuchte und vollendete schwere Nötigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Sachbeschädigung vorgeworfen. Am 27.5.2014 wurde er zum zweiten Mal in sämtlichen Anklagepunkten freigesprochen. Renato Pichler hat für Swissveg mit Felix gesprochen.

Felix, du bist vor kurzem freigesprochen worden. Kannst du kurz für den Leser zusammenfassen, wann und wie dieser ganze Fall begonnen hat und was für dich die wichtigsten Etappen waren?

Ungefähr seit 1997 bespitzelt die Polizei fallweise friedliche Demonstrationen von Tierschützern. 2007 wurde ohne unser Wissen eine Sonderkommission gegründet, weil der Chef der Firma Kleider Bauer, erbost über die Demonstrationen vor seinem Geschäft, den damaligen Innenminister angerufen und dies gefordert hatte. 2008 folgten ganz überraschend wie aus heiteren Himmel 26 Hausdurchsuchungen. Ich und neun andere Tierschützer waren dann für dreieinhalb Monate in Untersuchungshaft, und so haben wir überhaupt erst erfahren, dass ermittelt wurde.

Es gab also keine Vorwarnung, keinen Brief von Kleider Bauer oder von einem Anwalt?

Nein gar nichts. Das war so: Ich bin um sechs Uhr in der Früh auf einem Sofa gelegen und plötzlich hat die Polizei mit einem Rammbock die Türe aufgebrochen. Zehn Polizisten mit Sturmhauben, maskiert und mit gezogenen Waffen sind auf mich zugekommen und haben gesagt, dass ich festgenommen sei. Das war mein erster Kontakt mit der ganzen Sonderkommission.

Bei einem solchen Vorgehen muss die Polizei einiges in der Hand haben. Sprich, es müssen schon einige Beweise von der Staatsanwaltschaft zusammengetragen worden sein. Wie wurde jetzt nach eurem Freispruch das harte Vorgehen begründet?

Naja, da die Polizei nichts gefunden hatte, machten sie Gebrauch vom sogenannten Mafia-Paragrafen. Dadurch standen ihr mehr Ermittlungsmassnahmen zur Verfügung. Das heisst also, wenn nach diesem Gesetz, dem Verdacht auf kriminelle Organisation, ermittelt wird, darf die Polizei härtere Überwachungselemente, wie zum Beispiel grossangelegte Lauschangriffe, einsetzen. Da sie diesen Paragrafen nur vorgeschoben haben, um besser ermitteln zu können, und die Anklagepunkte schlichtweg nicht zutrafen, wurden wir diesbezüglich auch freigesprochen. Und weil selbstverständlich auch sonst keine Beweise vorhanden waren, sind wir jetzt insgesamt zwei Mal, d.h. von zwei verschiedenen Richtern, in allen Anklagepunkten freigesprochen worden.

Eigentlich war das schon vor Prozessbeginn klar, denn durch die lange Überwachung müsste die Soko herausgefunden haben, wenn etwas Illegales passiert wäre. Wie kannst du dir erklären, dass sie weiterhin so vorgegangen ist?

Man muss dazu sagen, dass wir bis zum Schluss keine volle Akteneinsicht bekommen haben. Zudem hatten wir durch die Untersuchungshaft und die Hausdurchsuchungen auch schon das Vertrauen in die Justiz verloren. Gerade deswegen war es natürlich spannend, wie der Prozess ausgehen würde. Aber ich kann mir das nur so erklären, dass sie auf Grund der schon investierten hunderttausenden Euros sich selbst einen gewissen psychologischen Druck auferlegt haben, doch noch etwas zu finden. Das Ganze hat dann wohl eine Eigendynamik entwickelt.

Was denkst du war der Ursprung des Prozesses? War es zu Beginn der Auftrag von Kleider Bauer und seinen Kollegen an die Polizei, die dann den Ehrgeiz verspürten, etwas herauszufinden?

Ja, so war es. Und dazu kam noch, dass der Staatsanwalt, der selbst auch Jäger ist und auf alles schiesst, was sich bewegt, die Polizei mit diversen Erlaubnissen unterstützt hat. Das Problem war, dass die Richterin am Anfang auch der Polizei vertraut und ihr geglaubt hat. Aber nach eineinhalb Jahren Prozess, insgesamt waren wir 110 Tage dort, hat sie gesehen, dass die Polizei wesentliche Beweise zurückgehalten hatte. Zum Beispiel war eine verdeckte Ermittlerin ein Jahr bei uns. Sie war überall dabei, und die Polizei hat das verschwiegen, weil die Ermittlerin nichts finden konnte. Dadurch hat die Richterin auch langsam an der Polizei zu zweifeln begonnen.

Und dann hat diese Richterin euch zum ersten Mal freigesprochen?

Ja, und der Staatsanwalt, der Jäger, hat aber Berufung, also ein Rechtsmittel, eingelegt. Dieser Berufung wurde von einer inzwischen pensionierten Richterin des Oberlandesgerichts Wien stattgegeben, weil sie der Meinung war, dass eine legale Ankündigung von Kampagnen – auch wenn diese polizeilich angemeldet und registriert sind – trotzdem eine gefährliche Drohung und somit eine Nötigung darstellt, was eine sehr bedenkliche Interpretation ist. Diese alte Richterin war der Meinung, dass auch strafrechtlich zu ahnden ist, wenn Greenpeace oder eine andere NGO so eine Kampagne ankündigt. Das ist demokratiepolitisch sehr bedenklich.

Hatte denn die Richterin irgendwelche Verbindungen zu Kleider Bauer, dass sie das Gesetz so verdreht hat, oder war es wirklich ihr persönliches Verständnis von Gesetz?

Naja, alle wichtigen Professoren und Professorinnen im Strafrecht und auch grosse Teile der Justiz haben das Ganze sowieso anders gesehen. Insgesamt wurde ihre Meinung stark kritisiert und angezweifelt. Aber es war wohl  so, dass sie einfach eine sehr konservative, demokratieferne und einfach nicht zivilgesellschaftlich denkende Richterin war. Ihre Position war einfach gegen jede Art von Protest gerichtet und sie hat, so glaube ich, als Richterin schlichtweg nicht verstanden, wie wichtig Proteste auch für die Demokratie sind.

Dann ging der Prozess ja weiter – forciert durch den Staatsanwalt. Wie lief der Prozess weiter ab?

Es war dann so, dass wir das Verfahren wiederholten. Das Verfahren, welches im ersten Durchgang über eineinhalb Jahre dauerte, hat der Richter in insgesamt drei Tagen abgewickelt. Er hat auch dazu gesagt, dass darüber schon viel zu lange gesprochen wurde, und hat ganz klipp und klar die Freisprüche in allen Punkten bestätigt. Im zweiten Durchgang hatten wir einen Richter, der erkannt hat, dass da nichts dahinter steckt.

Du hast auch erwähnt, dass gewisse illegale Aktivitäten seitens der Polizei vorhanden waren – also Dinge, die sie nicht machen durfte oder vor Gericht verheimlicht hatte.

Ja, es gab Beweise, dass vier Polizeibeamte in leitenden Positionen in der Sonderkommission drei kriminelle Delikte begangen hatten. Falschaussage vor Gericht als Zeuge, Amtsmissbrauch und Unterschlagung von Beweismitteln. Wir haben das alles dokumentiert und zu Protokoll gebracht. Nur leider wurde das Verfahren von der Korruptionsstaatsanwaltschaft eingestellt – dort wo inzwischen unser alter Staatsanwalt, der Jäger, arbeitet. Somit gab es keine Konsequenzen.

Obwohl es sich ja um Offizialdelikte handelt. Bei falschen Zeugenaussagen vor Gericht ist eigentlich keine Anklage vonnöten, sondern da müsste der Staat von sich aus aktiv werden, sobald er davon erfährt.

Stimmt, aber die Korruptionsstaatsanwaltschaft, die das normalerweise verfolgen müsste, hat das Verfahren eingestellt.

Also «schubladisiert» und unter den Teppich gekehrt?

Ja.

Und wie siehst du jetzt die Folgen für die Tierschutzszene in Österreich? Ist diese demoralisiert oder aufgeputscht durch das Verfahren?

Naja, es war freilich eine sehr schwere Zeit. Wir Angeklagten haben alle ungefähr 500000 Euro Schulden. Viele von uns waren in psychotherapeutischer Behandlung und haben auch jetzt noch mentale und psychologische Schäden. Ich denke, dass die Öffentlichkeit erkannt hat, dass es ein politisches Verfahren war. Deswegen steht die Öffentlichkeit weiterhin auf der Seite des Tierschutzes. Die Medien haben auch eine wichtige Rolle dabei gespielt. Insgesamt würde ich sagen, hat der Tierschutz keinen Schaden genommen – «nur» die Existenzen sind zerstört. Aber es hätte natürlich auch anders ausgehen können. Wenn wir sozusagen nicht auch die Möglichkeit gehabt hätten, den Skandal ans Tageslicht zu bringen, hätten sie diesen auch leichter unter den Tisch kehren und uns unterbuttern können. Wir sind sehr froh darüber, dass die Medien, die Zeitungen und das Fernsehen bereit waren, unsere ganzen Beweise der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Du hast Schulden angesprochen. Normalerweise würde man annehmen, wenn der Staat einen so riesigen Fehler begangen hat und die Angeklagten alle freigesprochen wurden, dass derjenige, der die Angeklagten ursprünglich eingeklagt hat, auch die Kosten für das Verfahren usw. übernehmen müsste. Gibt es keine rechtlichen Mittel, dass der Staat oder der Kläger die Kosten übernehmen muss und ihr somit keine Schulden mehr hättet?

Also wir haben 500000 Schulden und wir haben nach dem Freispruch 1250 Euro zur Abdeckung der Anwaltskosten erhalten. Die von uns, die schon länger freigesprochen sind, haben zusätzlich 10000 Euro Schadenersatz für die Zeit in Haft bekommen. Trotzdem bleibt natürlich ein riesiger Schuldenberg übrig. Und alle Parteien, ausser die konservative ÖVP, wollen das Gesetz anpassen. Alle Parteien wollen, dass unschuldig Angeklagte keine Schulden haben – einzig die ÖVP, die leider in der Regierung sitzt, will das nicht.

Die Namen derjenigen, die das Ganze losgetreten und auch falsche Zeugenaussagen vor Gericht gemacht haben sind ja bekannt. Auch durch die Medien nehme ich an.

Ja, in den Medien wurde berichtet. Vor allem in den Qualitätszeitungen «Der Standard» und «Die Presse» und durch den österreichischen www.vgt.at (Verein gegen Tierfabriken) und www.martinballuch.com wurde auch sehr viel darüber berichtet. Das ist alles schwarz auf weiss dokumentiert. Ein sehr wichtiges Dokument, das die Wahrheit hinter diesem Fall beleuchtet, ist auch der mehrfach preisgekrönte Film «Der Prozess» vom Filme­macher Igor Hauzenberger.

Die öffentliche Meinung ist eigentlich auf der Seite der Tierschützer. Man hat erkannt, dass es ein politischer Prozess war – und dennoch wurden diejenigen, die dafür verantwortlich sind, befördert, und die Richterin, die euch im ersten Fall freigesprochen hatte, wurde zurückgestuft. Gab es da keinen Aufschrei von der Politik, oder waren die Politiker einfach machtlos, da die ÖVP in der Regierung sitzt?

Ja, die Politiker in der Opposition haben natürlich aufgeschrien sowie auch die Medien und die Öffentlichkeit. Aber es gibt halt das Phänomen des Kurzzeitgedächtnisses des Wählers – und nach kurzer Zeit redet man wieder über etwas anderes. Und dadurch, dass die ÖVP in der Regierung sitzt, kann man da nichts machen.

Und wie geht die Arbeit jetzt weiter? Wird weiterhin gegen Kleider Bauer protestiert?

Ja, es wird jede Woche an zwei Tagen jeweils während acht Stunden weiterhin gegen Kleider Bauer demonstriert. Einfach, weil wir die Öffentlichkeit  darüber aufklären wollen, dass Kleider Bauer Pelz verkauft. Viele, die dort einkaufen, wissen gar nicht, dass viele Pelzkrägen gefärbt oder geschoren sind. Wir sind auf jeden Fall hochmotiviert. Insgesamt gab es grosse Erfolge im Tierschutz – auch seit dem Prozess –, und es gab auch grosse Erfolge im Bereich der vegetarischen und veganen Lebensweise. Wir haben sicher Schäden davon getragen als Personen, aber die Idee ist stärker als das.

Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen euch viel Erfolg bei der wichtigen Aufklärungsarbeit!

 


Als Mafiaorganisation angeklagt. Wie kam es dazu?
Jahrelang wurden Tierschutz- und Tierrechtsgruppen in Österreich systematisch überwacht und bespitzelt. Anti-Pelz-Demonstrationen vor Filialen des Modeunternehmens Kleider Bauer waren der Ausschlag, eine Sonderkommission zu gründen. 
Die Sonderkommission «Bekleidung», bestehend aus verschiedenen Abteilungen der Polizei, des Verfassungsschutzes und der Terrorismusbekämpfung machten sich unter dem Vorwand des Paragrafen 278a, dem sogenannten Mafia-Paragrafen, Ermittlungsinstrumente wie Lauschangriffe, Peilsender, Online-Überwachung und verdeckte Ermittlungen gegen eine grosse Anzahl von Personen zu Nutze. 

 

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