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Edwin Heller: «Man muss psychologisch richtig vorgehen!»

Er hat bis vor wenigen Jahren fast alle Vegetarier-Kongresse besucht, war beim Aufbau der Europäischen Vegetarier-Union und der Schweizer Reformjugend (Vorgängerorganisation der SVV) beteiligt und hat sich in der Lebensreformbewegung engagiert. Heute lebt er im anthroposophisch geführten Altersheim Sonnengarten in Hombrechtikon ZH, wo er mich zu einem Gespräch empfängt.

Pünktlich steht Edwin Heller vor dem Haupteingang, top gepflegt und tadellos gekleidet. Trotz dem Rollator wirkt er energievoll und steht aufrecht da. Seine gesunde Hautfarbe lässt darauf schliessen, dass er sich oft im Freien aufhält, kein Wunder in dieser ansprechend gestalteten, waldnahen Umgebung oberhalb des Zürichsees. Er sagt: «Es ist schön hier im Sonnengarten, es gibt kulturelle Veranstaltungen und das Essen ist auch gut. Wir sind etwa zehn Vegetarier, vor allem Frauen.»

Wäre alles nach Plan verlaufen, wäre er jetzt nicht hier, sondern unter lauter Gleichgesinnten in einem Vegi-Altersheim. Zwanzig Jahre lang haben Edwin Heller und seine Mitstreiter darauf hingearbeitet, das Projekt in der Nähe von Olten wurde zwar realisiert, doch das Konzept hat nicht funktioniert. Warum?

Dafür gab es verschiedene Gründe. Wir wählten mit Olten extra den Verkehrsmittelpunkt der Schweiz, doch die betagten Basler, Berner und Zürcher wollten schlussendlich doch lieber in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Die Vegetarier, die schliesslich hinzogen, füllten das Heim nicht, sodass auch Fleischesser aufgenommen werden mussten. Dies wiederum gefiel den Vegetariern nicht, die fanden, dann könnten sie ebenso gut anderswo hingehen. Zudem liegt die Gegend in einem Nebelloch. Heute ist es ein normales Altersheim.

Wann wurden Sie Vegetarier?

In meiner Jugend gab es höchstens einmal pro Woche Fleisch, ich mochte es nie besonders gerne. Bewusst aufgehört habe ich Ende der 50er-Jahre, zusammen mit meiner verstorbenen Frau, die ihr Leben lang an Polyarthritis litt. Die Ernährungsumstellung half ihr sehr. Inspiriert wurde ich damals von einem Onkel, einem angesehenen Lehrer am Seminar Küsnacht. Er ernährte sich schon vegetarisch, als ich noch ein Kind war. Er wurde «Bananenkönig» genannt, weil er herausgefunden hatte, dass getrocknete Bananen beim Bergsteigen eine äusserst nahrhafte Verpflegung darstellen. Eines Tages begegneten wir uns zufällig beim Billettschalter im Zürcher Hauptbahnhof. Ab da kamen wir uns näher und entdeckten viele Gemeinsamkeiten wie unsere Liebe zu den Bergen und zu einem gesunden Lebensstil.

Aus welchen Gründen sind Sie Vegetarier?

Aus allen: ethischen, moralischen, tierrechtlichen, gesundheitlichen, umwelttechnischen … Fleisch essen ist ein Fehler!

Edwin Heller, Sie haben die Zeitschrift «regeneration» gestaltet und herausgegeben. Wie kam es dazu?

Ich sympathisierte mit der Waerland-Bewegung in Deutschland. Diese gab ein Magazin mit einem Schweizer Teil heraus, für den ich Artikel verfasste, weil man festgestellt hatte, dass ich dafür talentiert war. Nach drei Jahren schrieb ich einen Beitrag, der dem Präsidenten nicht passte, und wurde der Aufgabe entledigt, die Schweizer Seiten wurden abgeschafft. Daraufhin gründete ich das Heft «regeneration», welches von 1966 bis 2007 existierte und rund 2000 Abonnenten hatte.

War das Ihr Beruf?

Nein, alles ehrenamtlich, verdient habe ich nichts, doch die Unkosten waren gedeckt. Gearbeitet habe ich als kaufmännischer Angestellter. Mir ging es darum, die Leute zu informieren. Dies umfasst mehr als nur die Lebensweise und die Ernährung, für mich gehörte immer auch Politik dazu. Nur etwas nicht zu machen, also kein Fleisch zu essen, war mir zu wenig.

Was haben Sie unternommen?

Ich habe mich zum Beispiel schon früh für den Bio-Landbau eingesetzt. Im Jahr 1972 besuchte ich den ersten Vegetarismus-Kongress, und ich war aktiv bei der Gründung der Schweizer Reformjugend dabei. Die Leitung wurde dem jungen Fredy Forster übergeben, der seine Sache hervorragend machte. Jugendliche brauchen junge Vorbilder, und ich war zu dieser Zeit bereits etwa 50 Jahre alt. Damals waren Vegetarier vorwiegend alte Leute, welche sich aus gesundheitlichen Gründen so ernährten, und wir wollten bewusst die Jungen gewinnen, darum haben wir Lagerwochen für Jugendliche organisiert und sie mit einer naturverbundenen, bewussten, gesunden Lebensart bekannt gemacht.

Hat Ihre Frau Sie bei Ihrem Engagement unterstützt?

Ja, wir haben alles gemeinsam gemacht. Allerdings hat sie später wegen ihrer Krankheit acht Monate im Jahr auf Gran Canaria gelebt. Auch unser Sohn ist unserer Linie gefolgt.

Woran glauben Sie?

Ich bin reformiert, aber kein Kirchgänger. Für mich haben die Menschen aller Religionen dasselbe Lebensrecht. Oft ist mir aufgefallen, dass Leute, die sich als Atheisten bezeichnen, eine sehr hohe Ethik haben.

Was hat sich geändert? Sind Sie zufrieden mit der heutigen Situation?

Heute kann man auf verschiedenste Weise Vegetarier werden, es gibt feine fleischähnliche Produkte. Die Allgemeinheit ist immer besser informiert, dennoch geht es nur schrittweise vorwärts, denn man kann nicht mit der Türe ins Haus fallen. Wir haben die höhere Aufgabe, den Planeten zu retten, doch das geht nur, wenn wir psychologisch richtig vorgehen. Ich bleibe optimistisch!

Nell Andris

Nachtrag: Edwin Heller ist leider am 26.5.2012 verstorben.

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