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Ein Veganer auf dem Bauernhof

Andreas wollte schon immer einmal in einem der vielen Bauernhöfe der Umgebung an vorderster Front mit anpacken. Und weil es sein Studium an der ZHAW verlangt, praktische Berufserfahrung zu sammeln, entschied sich der überzeugte Veganer für ein Praktikum auf dem Bauernhof.

Der mittelgrosse Hof unterhält sich zwar nicht ausschliesslich mit tierischen Produkten, doch die Arbeit mit den Tieren hat Andreas sicher am intensivsten erfahren. Wie fühlte es sich für ihn an, so hautnah an der tierischen Produktion dran zu sein?

Legehennen

«Jeden Morgen liess ich die acht Legehennen aus dem Stall und wechselte das Wasser im Becken. Auch nahm ich Eier aus dem Nestkasten. So fungierte ich sozusagen als Eierdieb. Dementsprechend unwohl fühlte ich mich in dieser Rolle. Am Abend pfiff ich die Hühner zurück in den Stall, ersetzte erneut das Wasser und nahm abermals alle Eier aus dem Nestkasten. Zusätzlich gab ich ihnen einen Becher Kraftfutter. Die stickig-modrige Atmosphäre im Stall verschlimmerte sich, als später weitere acht Hühner dazukamen.

Rinderstall

Der obere Teil des Stalls beherbergte rund dreissig Jungtiere. Sie vertilgten Unmengen an Heu. Mit der Heugabel zu hantieren, sah einfacher aus, als es war. Doch mir gefiel diese Arbeit, zumal das Heu gut roch. Leider hatten die älteren Rinder grosse Glocken um den Hals, weshalb sie einen ohrenbetäubenden Lärm verursachten. Die Tiere wurden Ende Juni auf eine Alp im Kanton Schwyz transportiert, wo sie den Sommer verbringen werden. Die Glocken hatten sie bereits dannzumal um, damit sie sich daran gewöhnen konnten. Dort oben stört das Glockengebimmel niemanden. Man finde sie so besser, wurde mir gesagt. Ein Ortungschip am Ohr wäre sowohl praktischer als auch genauer. Doch Tradition wird eben hochgehalten. Wieso etwas ändern, was immer schon so war.

Milchkühe

Im unteren Teil des Stalls standen dreissig Milchkühe. Ihr körperlicher Energieumsatz war gewaltig. Sie strahlten sehr viel Wärme aus, wes- halb es im Stall trotz Durchzug stickig und moderig roch. Es verging keine Minute, in der nicht eine der Kühe urinierte oder abkackte. Es roch dementsprechend. 
Zusätzlich zum Heu bekamen diese Kühe Futtermischungen aus dem Silo und bestimmte Mengen an Kraftfutter, welches an die entsprechende Milchleistung gebunden war. Morgens und abends wurden sie unter dem lauten Dröhnen der Melkmaschine gemolken. Alle zwei Tage wurde die gekühlte Milch abtransportiert.

Erzwungenes «Mutterglück»

Zwar wusste ich, dass heutige Milchkühe keinen Sex haben und dass 95% aller Kuhschwangerschaften künstlich erzwungen werden. Doch live bei einer Besamung mit dabei zu sein, war schon deftig. Fast bis zur Schulter steckte der sogenannte Besamungstechniker seinen geschützten Arm in den Darm der Kuh und führte die Spermaspritze in der Vagina so an die richtige Position. Ich erspare euch an dieser Stelle ein Foto. 
Für den Besamungstechniker ist das nichts Aussergewöhnliches; er macht das den ganzen Tag, fährt von Bauernhof zu Bauernhof mit einem Bottich voll Rindersperma und sorgt dafür, dass die entsprechenden Kühe trächtig werden. Eine künstliche Besamung kostet lediglich 16 Franken (+ 12 Franken Besuchstarif) und resultiert mit einer Zweidrittel-Wahrscheinlichkeit in einer Schwangerschaft.

Masthühner

Im hinteren Teil des Hofes befindet sich der 275 Quadratmeter grosse Masthühnerstall. Er beherbergte am Anfang meines Praktikums rund 4'300 Schlachthühner. Der Stallbetrieb funktioniert autonom. Sowohl die Wasser- und Futterzufuhr wie auch Temperatur und Feuchtigkeit, ja sogar die Lichtverhältnisse wer- den automatisch geregelt. Die Küken bleiben je nach Anzahl zirka einen Monat auf dem Hof, bis sie schlachtreif sind.
Morgens und abends erfolgt ein Kontrollgang durch den Stall. Dabei werden auch die toten Hühner eingesammelt. Dies sind zirka 4–8 pro Tag, an sehr heissen Tagen auch mehr. Dazu zählt auch, dass man die Hühner, die offensichtlich nicht mehr lange durchhalten werden, mittels Genickbruch um die Ecke bringt. 
Massgebend für die Fläche ist nicht die Anzahl Hühner, sondern die Anzahl Kilogramm pro Quadratmeter. So sind in der Schweiz maximal 30 kg Hühner pro Quadratmeter zugelassen. In Deutschland dürfen vergleichsweise 45 kg Hühner pro Qua- dratmeter gehalten werden, wobei sogar der Auslaufbalkon (der in kühleren Tagen nicht genutzt wird) mitgezählt werden darf.

Vom Huhn zum Poulet

Eine prägende Tätigkeit war für mich sicherlich das sogenannte Ausstallen. So half ich mit, die mittlerweile auf 4'100 dezimierten Hühner in Kisten zu packen. Um die Hühner nicht allzu sehr zu verängstigen, geschah das Ganze im Halbdunkel. Und schon ging es los, keine Zeit für moralische Bedenken: Mit Gummihandschuhen ausgerüstet, packte ich ein erstes Huhn. Es war ganz warm, glühte förmlich. Es fühlte sich auch irgendwie schwammig und gebrechlich an. Nach und nach wurde ich geschickter, packte eines nach dem anderen in die Kisten, insgesamt 15 Hühner pro Kiste. Meine routinierten Mitausstaller packten jeweils zwei auf einmal, ich hatte schon mit einem Huhn Mühe. Dabei war es heiss und die Feuchtigkeit im Stall hoch. Als sich dann alle Hühner in den Kisten befanden, war ich bachnass und richtig ausgelaugt. Doch es ging weiter. Fünf Kisten mussten jeweils übereinander auf eine Palette aufgereiht werden, so dass diese mit dem Traktor in den Lastwagen gehievt werden konnte. So erwarteten die Tiere einen «One-way-Trip» zum Schlachthof in Zell LU.

Und die Menschen?

Neben diesen teils sehr derben Arbeiten mit den Tieren beschäftigte mich die Einstellung der Bauernfamilie. Obwohl die Milchproduktion für sie zu den unrentabelsten Sparten auf dem Hof gehört, möchten sie an dieser Arbeit auch weiterhin festhalten. Lieber melken sie Kühe, als dass sie die mittlerweile recht gut subventionierten Ökoflächen pflegen. Für mich ist vollkommen unverständlich, dass sie als naturnahe Menschen scheinbar unzugänglich für ökologische Aspekte sind. 
Sie bekämpften sogar die Agrarpolitik 2014–2017, welche eine tiefere Fleisch- und Milchproduktion anstrebt und gleichzeitig dem Tier- und Umweltschutz einen grösseren Wert beimisst. So sammelten sie auch Unterschriften für das Referendum. Glücklicherweise kam es nicht zustande.

Dadurch, dass ich im Praktikum vornehmlich die Beobachter-Rolle einnahm, konnte ich mich gut von der Arbeit distanzieren. Trotzdem gingen mir viele Erlebnisse sehr nah. Wenn ich nicht schon vegan wäre, würde ich es spätestens in diesem Praktikum geworden sein.»

Andreas

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